Jetzt stellt euch mal nicht so an

Symbolbild; Quelle: s. u.
 Ich bin auf einigen Social Media-Portalen unterwegs. Man liest dort - tatsächlich - einige sinnvolle Dinge. An manchen Tagen kommen mir allerdings Zweifel, ob es sich beim Menschen wirklich um ein soziales Wesen handelt. Mit Empathie, Rücksichtnahme und Umsicht ausgestattet, ihr wisst schon ...

In der Weite Norwegens: der menschenleere Supermarkt

In dieser Woche habe ich es als mobilitätseingeschränkte Person 'gewagt', meine Meinung zu sagen.
Es ging los mit einem Beitrag eines Deutschen bei Instagram, der gerade mit dem Fahrrad in Norwegen unterwegs ist und erzählt, was ihm dort auffällt, insbesondere im Vergleich zu Deutschland. Im Video geht der Fahrradtourist in einen kleinen Supermarkt und kommentiert sein Einkaufserlebnis so:
"Man kommt mit der Bankkarte rein und jetzt kann man shoppen, ohne dass hier jemand ist. [...] Wie cool ist das denn? Ich feier das richtig." Er ist während des Videodrehs der einzige Mensch dort.

Ich sehe so etwas durch die 'Behindertenbrille' und habe mich gefragt, wie man in so einem Laden als behinderter Mensch zurechtkommt. Darum habe ich das kommentiert: "In diesem Laden war gerade außer dir niemand. Leuten, die Unterstützung brauchen, hilft dann niemand: Rollstuhlfahrer, kleine Menschen, Sehbehinderte... Mich stört, dass technischer Fortschritt überwiegend aus der Perspektive von fitten Leuten bewertet wird."

Der Fahrrad fahrende Deutsche hat daraufhin Verständnis für den Perspektivwechsel geäußert und wies darauf hin, dass es einen Hilfeknopf gibt, mit dem man Unterstützung durch die nebenan wohnende Betreiberfamilie holen kann. Damit hätte das Thema beendet sein können: Man hat vor Ort erkannt, dass manche Kundinnen und Kunden mit dem Fehlen von Personal ein Problem haben könnten, und für Abhilfe gesorgt. 

Doch dann war da eine junge Frau, die mit meinem Hinweis gar nichts anfangen konnte. Wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, an dem schon alles geklärt war: "Die Alternative wäre kein Laden, dann hätten kleine Menschen, Rollstuhlfahrer und Sehbehinderte ein noch größeres Problem."

Ich kenne solche Sichtweisen: Schwarz oder Weiß, ganz oder gar nicht und so weiter. So, als gäbe es nichts dazwischen. "Man kann es nicht jedem recht machen", schrieb sie in einem weiteren Kommentar. Ob sie weiß, dass 97 Prozent der behinderten Menschen ihre Behinderung im Laufe ihres Lebens erworben haben und es von einem auf den anderen Tag Jeden und Jede treffen kann? Und haben Menschen wie sie überhaupt einen Sinn für Solidarität? Norwegen führt keine Statistik, aus der man die Zahl der behinderten Menschen in diesem Land ablesen kann. Aber 10,7 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 18 und 67 Jahren bezieht eine Invalidenrente. Alle Behinderten jenseits dieses Alterskorridors werden nicht erfasst. Schätzungen gehen jedoch von 15 Prozent der Bevölkerung aus. Das sind bei einer Bevölkerungszahl von 5,51 Millionen (2024) 826.500 behinderte Menschen. Sind das diese 826.500, die die junge Frau meint? 

Fahrradfahren für alle?

Wir wechseln zu X, ehemals Twitter. Ein Nutzer, der überwiegend übers Fahrradfahren schreibt, gibt Tipps für Therapieräder. Das hat mich interessiert, weil ich selbst eines fahre. Er weist dort auf seinen Blogartikel hin, in dem es um Therapieräder geht. Therapieräder sind prima, wenn das Fahren auf einem normalen Fahrrad nicht mehr klappt. Dieser Fahrradtyp ist in Deutschland noch nicht sehr verbreitet, sodass ein paar Informationen eine gute Sache sind. Doch auch hier gibt es Leute, die nicht die Vorteile sehen, sondern vor allem das Haar ... ach, was: den ganzen Skalp in der Suppe. 

"Wie soll ein 85-Jähriger so ein Fahrrad in seinen Keller kriegen?" Ja, ein Therapierad ist schwerer als ein Pedelec. Aber warum wird diese Möglichkeit der Fortbewegung nur deswegen schlecht geredet, weil es selbstverständlich Menschen gibt, für die sie nicht praktikabel ist? "Und stellt euch vor, es gibt sogar Leute, die behinderungsbedingt weder Fahrrad noch Auto fahren können. Was ihr denen wohl ratet...", schrieb eine andere Nutzerin. Selbstverständlich ist nicht alles, was für eine bestimmte Behinderung gut ist, auch für alle anderen praktikabel. Wie sollte das gehen? Jede Lösung ist individuell. Und möglicherweise gibt es eine auch für diese Nutzerin, von der sie noch nichts weiß.

Was steckt dahinter, dass manche Leute ihren Mitmenschen nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen und mit Neid auf sie blicken? Ich lasse diese Frage hier so stehen, weil ich nicht glaube, sie beantworten zu können. 

Hinweis: Ich hatte vor längerer Zeit darüber geschrieben, was ich von dem Trend zu selbstfahrenden Bussen oder Bahnen halte, die ganz ohne Personal unterwegs sind. Wen es interessiert: hier entlang.

Kommentare

  1. Hallo... ich freue mich auf einen Austausch zum Thema Mobilität. Eine andere Perspektive einzunehmen ist schon mal der erste Schritt für Lösungen..
    Viele Grüße,
    Bernd Schmitt von der Radkolumne

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    1. Lieber Bernd, ich freue mich über deine Rückmeldung. Das kriegen wir bestimmt hin.
      Viele Grüße
      Ina

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