Die praktische Umsetzung von "Barrierefreiheit"

Das Foto legt nahe, dass es in diesem Text um Möwen gehen könnte. Das tut es nicht. Das Bild steht symbolisch für meinen vierwöchigen Aufenthalt an der Ostsee, über den ich hier im Dezember 2024 geschrieben hatte. Möglicherweise bin ich die rechte Möwe, die ihren Unmut herauskreischt. Die fliegende Möwe könnte der Vermieter der Ferienwohnung sein, der mir von oben einen flüchtigen, desinteressierten Blick zuwirft und dann seinen Weg fortsetzt.
Genug Metaphern, zurück in die Realität.

Die Ferienwohnung war wie beschrieben direkt am Wasser und wurde vom Anbieter als "rollstuhlgeeignet" bezeichnet. Kurz zusammengefasst: Sie war es nicht. Vermutlich hat der Eigentümer sich auf einige Eigenschaften - z. B.  die bodengleiche Dusche oder den Duschsitz - bezogen, um seine Immobilie werbewirksam mit diesem Etikett auszustatten. Nur: Wenn man als behinderter Mensch auf der Suche nach einer passenden Unterkunft ist und in das Suchfeld einer Suchmaschine oder eines Urlaubsportals "ferienwohnung barrierefrei" eingibt und unbrauchbare Ergebnisse bekommt, nur weil diese beiden Begriffe in einer Wohnungsbeschreibung auftauchen, ist das ziemlich frustrierend.

Zurück zu dieser einen Ferienwohnung an der Ostsee. Die mit der Verwaltung beauftragte Firma hat mich ein paar Tage nach meiner Abreise gebeten, ihr meine Eindrücke zu schildern. Das habe ich gemacht, natürlich mit dem besonderen Fokus auf die Barrierefreiheit und Rollstuhltauglichkeit. Die Firma sagte aufgrund meiner Kritik daraufhin zu, sich deswegen mit dem Vermieter in Verbindung zu setzen. Das hat sie offensichtlich getan, denn wenig später waren alle Hinweise auf die (lückenhafte) Barrierefreiheit verschwunden.

Vor Kurzem habe ich mich auf dem Portal, auf dem ich die Ferienwohnung damals gefunden hatte, noch mal umgesehen. Dort werden Unterkünfte in ganz Europa angeboten. Da meine Anforderungen immer gleich sind, bin ich wieder auf die Ferienwohnung gestoßen, die ich bereits kannte - was nur möglich war, weil die Beschreibung in die alte Version geändert wurde. Wie konnte das sein? Die neuesten Rezensionen gaben die Antwort: Einige Gäste haben das Objekt als "wunderbare barrierefreie Wohnung" und "für Rollstuhlfahrer perfekt geeignet" bezeichnet. 

Mich macht das ratlos. Es sollte doch nicht nur den behinderten Menschen, sondern auch denjenigen, die mit ihnen reisen, darum gehen, auf der Grundlage verlässlicher Angaben Entscheidungen zu treffen. Ich gehe davon aus, dass die behinderten Gäste die Ferienwohnung mit einer Begleitung bewohnt haben, die ihnen das hohe Badfenster nach dem Duschen geöffnet, die Mahlzeiten am nicht unterfahrbaren Herd zubereitet oder ihnen etwas in der im Sitzen unerreichbaren Mikrowelle aufgewärmt hat. Als Mensch im Rollstuhl braucht man auch Hilfe beim Anlegen der Rampe, um vom Wohnzimmer auf die Terrasse zu kommen. Das gilt auch für die Benutzung des Geschirrs, das sich in den Oberschränken der Küchenzeile befindet. 

Ich empfinde es als Mensch mit Mobilitätseinschränkung als diskriminierend, wenn andere von vornherein davon ausgehen, dass ich auf jeden Fall mit einer Begleitperson unterwegs bin. Den Satz, mit dem die Eigentümer ihre Wohnung als für mobilitätseingeschränkte Gäste geeignet beschreiben, halte ich für irreführend: "Gesamte Wohneinheit ist rollstuhlgerecht."

Es ist nichts anderes als Marketing. Und da es zum Nachteil von behinderten Menschen betrieben wird, wird es Zeit, dass Worte wie "barrierefrei", "rollstuhlgerecht" oder "behindertengerecht" nicht mehr Schall und Rauch sind, sondern klar juristisch definiert werden. Erst dann könnten sich enttäuschte Behinderte wehren, wenn ihnen mehr versprochen als gehalten wurde.


Photo credit: jennifer.stahn on Visualhunt.com


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