Fortschritt, der mir Sorgen macht

Symbolbild eines selbstfahrenden Busses
Ich stehe technischen Neuerungen entspannt bis optimistisch gegenüber. Allerdings nur dann, wenn ich den Eindruck habe, dass ihr Nutzen die Nachteile überwiegt. 

Kürzlich habe ich gelesen, dass die Region Hannover einen fahrerlosen elektrischen Bus testet. Der Regionspräsident bewertet die Möglichkeiten des autonomen Fahrens positiv: Wohngebiete oder Arbeitsplatzstandorte lassen sich schienenlos und bedarfsgerecht erschließen. Na klar: Der Bau einer Straßenbahnlinie kostet pro Kilometer um 20 Millionen Euro, aktuell wegen der gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten wahrscheinlich noch mehr.
Das Brutto-Gehalt einer Busfahrerin oder eines Busfahrers liegt bei durchschnittlich etwa 33.000 Euro pro Jahr, wenn man den Angaben der Gehaltsportale im Internet glauben darf. Da lässt sich also eine Menge einsparen. Und Urlaubsansprüche oder Krankentage entstehen nicht. Alles in allem also eine super Lösung, oder?

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht bestimmt. Aber als Frau mit Behinderung hält sich meine Begeisterung in Grenzen. Ich weiß von den Vorbehalten gegen Menschen mit Behinderungen, die in vielen Köpfen vorhanden sind. Und ich weiß, dass Straßenbahnen und Busse am späten Abend und sehr frühen Morgen nur von wenigen Fahrgästen genutzt werden. Wie sicher fühle ich mich in einem autonom fahrenden Bus, wenn es dort niemanden mehr gibt, der mir hilft, wenn ich bedroht oder gar angegriffen werde? Wer holt im Ernstfall die Polizei oder einen Krankenwagen? Wer hilft beim Ein- und Ausstieg?

Wenn man die Pressemeldungen verfolgt, gibt es an etlichen Stellen ähnliche Verkehrsversuche wie den in der Region Hannover. So lässt beispielsweise die Deutsche Bahn in Karlsruhe und Bad Birnbach elektrisch betriebene autonome Shuttle-Busse fahren. Der Trend wird sich wahrscheinlich fortsetzen und wir werden immer weniger Fahrpersonal in Bussen und Straßenbahnen sehen. Und womöglich auch immer weniger Fahrgäste, die sich unter solchen Bedingungen wohl fühlen.

Gibt es etwas, das ich mir wünschen würde? Ja, das gibt es tatsächlich. Ich bin kürzlich auf ein Angebot gestoßen, das die Stadt Frankfurt denjenigen Einwohnerinnen und Einwohnern mit Behinderung macht, die als "außergewöhnlich gehbehindert" eingestuft worden sind. Für einen Euro können die behinderte Person und ihre Begleitung einen Taxi-Service in Anspruch nehmen, der sie von Tür zu Tür bringt. Keine Wege bis zur nächsten Haltestelle, keine Probleme mit fehlender Barrierefreiheit auf dem Weg dorthin sowie der geringe Preis würden für viele behinderte Menschen einen regelrechten Mobilitätsschub bedeuten. Und wer sich über den geringen "Fahrpreis" aufregt: Die Arbeitslosenquote betrug bei Schwerbehinderten 11,5 %, viele arbeiten in Werkstätten für behinderte Menschen und verdienen dort monatlich zwischen 180 und 230 Euro. Außerdem liegt das Durchschnittseinkommen behinderter Menschen niedriger als das von Nicht-Behinderten. Die Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt ist offensichtlich.

Wer jetzt in einem ersten Reflex denkt: 'Was kriegen Behinderte denn noch alles?', dem biete ich an, unsere Leben zu tauschen. Geht nicht? Gedanklich geht das, wenn sich die Leute, die behinderte Menschen um jede Erleichterung beneiden, vor Augen halten, wie deren Leben bislang aussah und welche Perspektiven sie haben. Wenn ich meinen medizinischen "Werdegang" mit allem Drum und Dran erzähle, will ganz sicher niemand mehr mit mir tauschen.

Liebe Region Hannover, wäre so ein Taxi-Ticket für stark mobilitätseingeschränkte Behinderte nicht auch hier möglich? 


Foto: "Self-driving bus line opening in Tallinn" by EU2017EE is licensed under CC BY 2.0 .

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