Nur 3 Prozent

In Deutschland leben 7,8 Millionen Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung. Das sind etwa 9,4 % der Bevölkerung und damit ungefähr jeder elfte Mensch.

Wenn man sich das Verhalten einiger Mitbürgerinnen und -bürger ansieht, kann man nur mutmaßen, dass sie sich in ihrer Situation als gesunder Mensch als fast unverwundbar betrachten. Was soll ihnen schon passieren, wenn sie keine vermeidbaren Risiken eingehen? Aber, hey: Wer macht das schon? Setzt jemand freiwillig seine Gesundheit aufs Spiel? Das Risiko gehen doch nur wenige Leute ein, ...oder?

Diese Denkweise beruht auf der Vorstellung, dass man als behinderter Mensch geboren wird und einfach Pech gehabt hat. Sie beruht auch auf der Vorstellung, dass man Risiken durch umsichtiges Verhalten ausschalten oder zumindest deutlich reduzieren kann. Wer auch immer für das Schicksal verantwortlich ist, hält sich gerade vor Lachen den Bauch.

Aber im Ernst: Stimmt das so? Hat man es in der Hand, ob man sein Leben lang von einer Behinderung verschont bleibt? Statistiken sprechen da eine klare Sprache. Leider gibt es aktuell nur Daten aus dem Jahr 2021, aber an den Verhältnissen dürfte sich in der Zwischenzeit kaum etwas geändert haben:

  • 90 Prozent der Schwerbehinderungen beruhen auf einer Erkrankung. Ob das nun MS, ALS, Krebs oder Parkinson ist: Wer daran erkrankt, das wird vom Schicksal ausgewürfelt. Nur selten kann man eine gerade Linie zwischen dem Lebensstil (Raucher) und der Erkrankung (Bronchialkrebs) ziehen. 
  • Auf Unfälle oder Berufskrankheiten geht nur ein Prozent der Schwerbehinderungen zurück. 
  • Nur drei Prozent der Schwerbehinderten sind von Geburt an behindert oder wurden es innerhalb ihres ersten Lebensjahres.

Die Erkenntnis, dass eine Schwerbehinderung Jede und Jeden treffen kann, sollte sich viel mehr durchsetzen. Vielleicht würde sich dann die Sichtweise der Nicht-Behinderten verändern: Nanu, ich bin gar nicht unverwundbar? Ich kann schon morgen dazugehören? 90 Prozent sind wirklich eine beeindruckende Hausnummer.

Daran könnte sich die nächste Frage anschließen: Will ich als Mensch ohne Behinderung so behandelt werden, wie ich selbst Behinderte behandle? Ja, mir ist bewusst, dass ich über diese Zahlen hier schon einmal geschrieben habe. Aber angesichts des oft sehr ignoranten und egozentrischen Verhaltens vieler Menschen möchte ich hier noch mal den Blick darauf lenken.

Wer sich ein bisschen durch diesen Blog liest, der wird auf Texte stoßen, in denen ich darüber schreibe, welches Verhalten der Mitbürgerinnen und Mitbürger um mich herum mir und anderen behinderten Menschen das Leben (unnötig) schwer macht: Es geht um den Sprint mancher Kunden zur Kasse, um sich knapp vor mir ans Warenband zu stellen und vor mir dran zu kommen; es geht um das aktive Wegsehen bei einem Sitzplatz im Wartebereich einer Arztpraxis, der von sich unterhaltenden Patientinnen belegt wird; es geht um telefonische Zusicherungen von Gastwirten, dass ihr Lokal barrierefrei sei, obwohl eine kurvige Treppe zu den Toiletten führt; und es geht um das endlose Ärgernis der unberechtigt belegten Behindertenparkplätze.

Das ist keine abschließende Aufzählung. Sie dient nur dazu zu zeigen, wie weit die Ignoranz vieler Mitmenschen gegenüber Behinderten geht. Wer an Karma glaubt, sollte sein Verhalten überdenken, ehe er sich in einer Kassenschlange vor einen behinderten Menschen drängelt. Wer Karma für dummes Zeug hält, darf trotzdem rücksichtsvoll sein.

Denn: Karma is a bitch, und man weiß ja nie...


Quelle Foto: 

"Karma - Do You Dare?" by the_alien_experience is licensed under CC BY-NC-ND 2.0 .

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