Land im Ausnahmezustand: Das haben noch nicht alle gemerkt

In der Überschrift hätte anstelle von "Land" auch "Kontinent" oder "Welt" stehen können. Aber zu Superlativen greifen jetzt ohnehin schon die Massenmedien, dem will ich mich nicht anschließen.

Ich habe vor Kurzem schon über "das" Corona-Virus, das Covid-19 auslöst, geschrieben. Das ist jetzt fast drei Wochen her. Seitdem ist die Pflege meiner sozialen Kontakte, also die normalerweile völlig normalen Treffen mit der Familie und mit Freunden, bei nahezu null angekommen. Ich verlasse das Haus, wenn ich einkaufen oder zur Physiotherapie will.

Nein, ich kriege keinen Lagerkoller. Aufgrund des
sehr spezifischen Verlaufs meiner Kindheit habe ich gelernt, meinen Tag auszufüllen und mich zu beschäftigen. Ich mache jetzt auch Dinge, die ich bislang vor mir hergeschoben habe. Mein Büro aufräumen zum Beispiel. Bei der elektronischen Medienvielfalt, die heute die meisten von uns um sich herum haben, fehlt mir bei der Mehrzahl der erwachsenen, gesunden Menschen das Verständnis, wenn sie sich beklagen, sie fühlten sich eingesperrt und wollten ein bisschen Spaß haben. Wenn jüngere Kinder im Spiel sind, ist das noch eine andere Hausnummer.

Auch hier gibt es diese Leute, die in Grüppchen um den hannoverschen Maschsee oder durch die Fußgängerzone in der Innenstadt laufen. Es gibt auch Eltern, die die Absperrbänder an den Spielplätzen ignorieren und ihre Kinder auf die Schaukeln setzen. Und es gibt reichlich Leute, die sich bei dem schönen Wetter während der letzten Tage mit ihren Kindern in Trauben vor der Eisdiele anstellen. Der Abstand zwischen den einzelnen Kunden beträgt da maximal einen halben Meter.

Ich habe gestern über einen Messengerdienst ein Video bekommen. Dort ist ein Streifenwagen zu sehen, der langsam durch die hannoversche Fußgängerzone fährt und die (zu vielen) Menschen, die dort unterwegs sind, dazu aufruft, zu Hause zu bleiben und alles zu tun, um die weitere Ausbreitung des Virus' zu verhindern. Die Menschen drehten sich kurz zu dem Streifenwagen um, manche filmten die Szene mit ihrem Smartphone. Warum? Wollen sie irgendwann ihren Enkeln diese Aufnahmen zeigen und damit dokumentieren, dass sie zu genau den Vollhonks gehört haben, die da angesprochen wurden?

Ich hatte geschrieben, dass ich noch zur Physiotherapie gehe. Wer jetzt sagt "Bist du verrückt? Wir sollen doch den Kontakt meiden!", dem stimme ich zu. Grundsätzlich. Im Vergleich zu einem Einkauf ist es in der Praxis aber so harmlos, als würde ich einem belebten Zentrum einer Großstadt eine Bushaltestelle eines 500-Seelen-Dorfes abends um zehn gegenüberstellen.

Meine Therapeutin ist seit vielen Jahren in einer Praxisgemeinschaft mit einer Kollegin. Wir kennen uns seit mehr als 20 Jahren. Beide Therapeutinnen beschäftigen jeweils mehrere Angestellte, die Terminkalender waren immer rappelvoll. Meine Therapeutin hat oft von morgens um sieben bis abends um acht gearbeitet. Mit dem Beginn der Verbreitung des Corona-Virus' wurde die Praxis aus hygienischer Sicht aufgerüstet. Schon immer hat sich meine Therapeutin ständig ihre Hände desinfiziert und ihre Arbeitsgeräte ebenso. Die Haustür ist jetzt immer geöffnet, an der Praxistür klebt ein Warnschild, man muss sich unmittelbar nach dem Betreten der Praxis die Hände waschen und so weiter... 

Gestern war ich dort und habe sie gefragt, wie es ihr geht. Ihre Antwort hat mich schockiert: "Ich werde Kurzarbeit anmelden." Die Kollegin, mit der sie sich die Praxis teilt, wird das ebenfalls tun. Angesichts der vielen Absagen von Patienten sah sie keine andere Möglichkeit, um Entlassungen zu vermeiden. Wie wird es erst in zwei oder drei Monaten sein? Oder gar, wenn eine Ausgangssperre angeordnet werden sollte? Angesichts der vielen Leute, die weiterhin so tun, als sei alles in Butter, wird ein solches Szenario immer wahrscheinlicher.

Eine Freundin arbeitet seit vielen Jahren bei einer Firma, die Elektromaschinen baut und wartet. Das Unternehmen hat etwa 150 Mitarbeiter. Wegen der Covid-19-Krise wurde zum 1. April Kurzarbeit beantragt. Meine Freundin macht sich Sorgen, was danach kommt. Jeder würde das tun. Aber niemand weiß das.

Wenn ich mich umsehe, habe ich oft den Eindruck,
dass vielen Menschen nicht klar ist, wie eng Dinge miteinander verflochten sind. Die jungen Leute, die sich aufgrund ihres Alters medizinisch für "safe" halten, aber auch die Alten, die der Meinung sind, ihre Uhr sei ohnehin fast abgelaufen und so ein Virus mache den Kohl auch nicht mehr fett.

Bislang wird in den Medien fast ausschließlich über die medizinischen Aspekte der Pandemie gesprochen. Nur hier und da gibt es Artikel, die sich mit einer drohenden Rezession beschäftigen. Ihre Zahl ist bislang so gering, dass sie im Trommelfeuer der wichtigen und unwichtigen Corona-Nachrichten fast untergehen.

Aber es wird ein Leben nach Covid-19 geben. Mit weniger Menschen als zu Beginn, was manchen Leuten am A... vorbeizugehen scheint.
Das Leben nach Covid-19 wird mehr Menschen beeinträchtigen als die eigentliche Erkrankung es gerade tut. Denn wie man immer wieder hört und liest, merkt ein Großteil der Infizierten gar nichts von der Erkrankung.

Doch je länger sich so viele Leute nicht an die Verhaltensvorgaben halten, umso länger wird der aktuelle Zustand mit seinen bereits deutlichen Einschränkungen anhalten - wenn es nicht sogar zu einer allgemeinen Ausgangssperre kommt. Viele Menschen werden ihre Arbeit verlieren. Es wird zu Pleiten von zahllosen kleinen und auch vielen größeren Firmen kommen. Der Fachkräftemangel, der bis jetzt in vielen Branchen dazu geführt hat, dass sich die Mitarbeiter um ihre Stelle keine Sorgen machen mussten, wird in kurzer Zeit Geschichte sein. Wo keine Firmen sind, werden keine Mitarbeiter gebraucht.

Weniger Firmen = weniger Ausbildungsstellen. Die Jugendlichen, die jetzt in Eiscafés eng zusammensitzen oder in Parks den Grill anwerfen, sind dann beruflich alles andere als "safe". Das liegt nicht nur an ihnen selbst, sondern auch an ihren Eltern, die ihnen nicht mal zwischendurch den Marsch geblasen haben, damit ihre Kinder einfach mal zu Hause bleiben.

Wenn die Ausgangssperre kommt, dann machen auch die Läden zu, die sich bislang noch mit Provisorien über Wasser gehalten haben. Selbstständige und Freiberufler, die nicht mehr arbeiten können, haben keine Einnahmen. Betriebe ohne Einnahmen melden Kurzarbeit an (=weniger Einkommen für die Beschäftigten und höhere Belastung des Staats), danach entlassen sie einige Mitarbeiter und zum Schluss macht der Letzte das Licht aus. 

Firmen, die weniger verdienen, zahlen weniger Steuern. Firmen, die es nicht mehr gibt, zahlen gar keine Steuern. Banal? Ja, unbedingt! Das ist neben dem medizinischen der wirtschaftliche Effekt, den es mit sich bringt, wenn die Einschränkungen wegen der Unvernunft von zu vielen Menschen (zu) lange dauern!

Keine Steuern heißt nicht nur, dass der Staat auf jeder Ebene, vom Bund bis zu den Kommunen, weniger für seine Bürger leisten kann. Es heißt auch, dass er weniger Menschen beschäftigen kann.

In dieser Gesamtsituation kommt es zu einem Währungsverfall. Der Wert unseres Geldes schmilzt dann dahin wie Butter in der Sonne.


Weil zu viele Bürger sich entweder "safe" gefühlt haben oder sie nur ihr winziges privates Glück im Auge hatten.

Vielen Dank!



 

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