Zu teure Eingliederungshilfe: Jetzt reicht's langsam mal - oder?

 

Am 3. Juni 2025 hielt Bundeskanzler Friedrich Merz
eine Rede beim Deutschen Kommunalkongress, dessen Motto "Stadt. Land. Jetzt. - Starke Kommunen möglich machen" hieß. Nachdem er den Kommunalvertreterinnen und -vertretern eine Entbürokratisierung zugesagt hatte, um Prozesse zu beschleunigen, kam er zum Thema Ausgaben:

"Wir werden eine umfassende Ausgabenüberprüfung vornehmen müssen, auch im Sozialrecht. Ich will vor der Klammer sagen: Es ist völlig selbstverständlich, die Bundesrepublik Deutschland bleibt ein sozialer Rechtsstaat. Wir werden dafür sorgen, dass diejenigen, die den Sozialstaat brauchen, ihn auch in Zukunft ohne Wenn und Aber zur Verfügung haben. Dass wir allerdings über Jahre hin jährliche Steigerungsraten von bis zu zehn Prozent bei der Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe sehen, ist so nicht länger akzeptabel. Da müssen wir gemeinsam nach Wegen suchen, wie den zu Recht Bedürftigen genauso Rechnung getragen wird wie der Leistungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte."

Dies ist der Blog einer Dreibeinigen. Darum werde ich mich nur der Frage widmen, was es mit den von Herrn Merz formulierten Steigerungsraten über Jahre hin von bis zu zehn Prozent bei [...] der Eingliederungshilfe auf sich hat.

Eingliederungshilfe: Was ist das überhaupt?

Bei der Eingliederungshilfe handelt es sich um eine zum 1. Januar 2020 eingeführte Sozialleistung. Sie ist im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geregelt und spricht nicht nur Menschen mit wesentlichen Behinderungen an, sondern auch diejenigen, die von wesentlichen Behinderungen bedroht sind. Es geht also nicht nur darum, Behinderten eine Teilhabe zu ermöglichen, sondern auch um Prävention. Dieser Bereich gehörte bis Ende 2019 zum Sozialrecht und war im SGB XII geregelt.

Die Eingliederungshilfe umfasst Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben (z. B. Hilfen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes oder dessen Erhalt) und an der Bildung (z. B. Hilfen zur schulischen und hochschulischen Weiterbildung sowie zur Teilnahme am Unterricht an Berufsschulen), soziale Teilhabe (z. B. Wohnraum, Mobilität oder Assistenzleistungen) sowie Hilfen zur Pflege (z. B. Pflegegeld, Verhinderungspflege oder Maßnahmen, die das Wohnumfeld verbessern).

Sind die Kosten für die Eingliederungshilfe tatsächlich seit Jahren um jährlich bis zu zehn Prozent gestiegen?

Wie schon gesagt, gibt es die Eingliederungshilfe in der heutigen Form seit Januar 2020. Wir erinnern uns: Das war der Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland. Erst im Mai 2023 hob die WHO den 'internationalen Gesundheitsnotstand' auf. In diesem Zeitraum lief das Leben aller Bürgerinnen  und Bürger gebremst ab, über lange Zeit mussten Kontakte vermieden werden. Davon waren behinderte Menschen noch stärker betroffen: Reha-Maßnahmen fanden nicht oder nur eingeschränkt statt, Ausbildungen wurden unterbrochen, Werkstätten für Menschen mit Behinderungen wurden geschlossen usw. Die Jahre 2020 bis 2022 können deshalb nicht repräsentativ sein, darum gibt es für sie nur wenige öffentlich zugänglichen Daten, die Auskunft über die Zahl der Bezieher oder die Höhe der erbrachten Leistungen geben. 

Das weiß man: 2021 bekamen nicht ganz 980.000 Menschen Eingliederungshilfe. Ein Jahr später waren es fast eine Million und damit im Vergleich zu 2021 zwei Prozent mehr. 2023 ist die Zahl der Eingliederungshilfe-Empfänger leicht angestiegen, sie betrug rd. 1.017.000 Menschen. Angaben zum Jahr 2024 liegen noch nicht vor.

Im ersten Corona-Jahr 2020 lagen die Kosten für die Eingliederungshilfe bei 20,8 Milliarden Euro, 22,02 Milliarden Euro waren es 2021 (+5,7 %). 2022 sind die Ausgaben auf 23,21 Milliarden Euro gestiegen (+ 5,4 %) und 2023 auf 25,4 Milliarden Euro (+ 9,4 %). Diese Zahlen sind Netto-Beträge, denn es fließt auch oft Geld von den betroffenen Menschen in die Staatskasse. Was noch deutlich wird: Die Kosten für die Eingliederungshilfe stiegen nicht Jahr für Jahr um zehn Prozent, die Steigerungsrate war zwischen 2020 und 2023 sogar nur rd. halb so hoch. Der Wert von zehn Prozent wurde nicht erreicht.

Das sagt der Koalitionsvertrag zum Thema Eingliederungshilfe

Spoiler: Viel ist es nicht. Und da, wo etwas gesagt ist, bleibt es vage.
"
Wir werden die Teilhabechancen von Menschen mit komplexen Behinderungen verbessern." Prima, aber wie?
"Gemeinsam mit den Ländern und Kommunen werden wir auf Grundlage der Evaluationen zum Bundesteilhabegesetz dessen Umsetzung und Ausgestaltung beraten." Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales stellt auf seiner Homepage den 'Abschlussbericht Wirkungsprognose BTHG' (Stand: Februar 2025) zur Verfügung. Daraus geht unter anderem hervor, dass die Umsetzung des Gesetzes oft nicht zufriedenstellend durchgeführt wird: Obwohl es eindeutige Vorgaben gibt, werden die zustehenden Teilhabeleistungen nicht bundesweit flächendeckend im selben Umfang gewährt. In einigen Bereichen kritisiert der Bericht einen erhöhten bürokratischen Aufwand durch kleinteilige und strenge Nachweispflichten. 

Die Kritik des Bundeskanzlers an den Kostensteigerungen für die Eingliederungshilfe dürfte klar machen, in welche Richtung die Beratungen mit den Ländern und Kommunen im Wesentlichen gehen werden: Wo kann Geld gespart werden? Der 'Abschlussbericht Finanzuntersuchung BTHG' gibt deutliche Auskünfte, wie es vor allem zu den Ausgabensteigerungen, die für den Zeitraum von 2018 bis 2023 untersucht wurden, gekommen ist: Fast die Hälfte ist auf die Entwicklung der Personalkosten und Preise zurückzuführen, etwa ein Viertel auf die Zunahme der Zahl der leistungsberechtigten Menschen. Wo also soll gespart werden? Beim Leistungsumfang der Eingliederungshilfe? Bei der Entlastung der Angehörigen? Bei den Einkommens- und Vermögensfreigrenzen?

Es bleibt angesichts solch einer Ankündigung wie der des Bundeskanzlers die Sorge, dass Entscheidungen zu Lasten der behinderten Menschen und ihrer Angehörigen getroffen werden. 


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