Ein Wutausbruch, den ich gut verstehe

Erinnert ihr euch noch an Kristina Vogel? Sie gilt neben der Australierin Anna Meares als erfolgreichste Bahnradfahrerin der Welt. Zwei Olympiasiege und elf Weltmeistertitel hat sie erreicht, dazu noch eine ganze Reihe nationale Preise.

Vorbei. Im Juni 2018 ist sie während des Trainings nach einer Kollision mit einem niederländischen Fahrer so schwer gestürzt, dass sie eine Querschnittslähmung erlitt und seitdem im Rollstuhl sitzt.

Kristina Vogel wurde dafür bewundert, wie sie mit diesem Schicksalsschlag umgegangen ist. Sie hat sich mental wieder aufgerappelt und - zumindest nach außen - optimistisch vermittelt, dass auch ein Leben mit einer Behinderung lebenswert ist. Öffentlich gejammert hat sie meines Wissens nie. 

Doch gestern Abend ist ihr der Geduldsfaden gerissen. Mehr als 12.500 Menschen haben bis jetzt diesen Ausbruch bei Instagram gesehen. Die frühere Leistungssportlerin, deren Leben von Disziplin geprägt ist, hatte - wie man flapsig sagt - die Faxen dicke: In einem emotionalen Video lässt sie innerhalb von mehr als fünf Minuten ihren ganzen Frust über den Egoismus und die Rücksichtslosigkeit gegenüber behinderten Menschen raus. 

Ihrer Wut und Enttäuschung ist etwas
vorausgegangen, das diejenigen Behinderten, die wegen ihrer Einschränkungen einen blauen Parkausweis haben, tagtäglich erleben: Auf einem Behindertenparkplatz stand ein Pkw, der da nichts zu suchen hatte. Man kann ihrem Monolog anhören, dass sie schon zahlreiche ähnliche Fälle erlebt hat. Dieser scheint nun der gewesen zu sein, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Einzelne werfen ihr in den Kommentaren vor, sie sei anmaßend, wenn sie sich über andere Menschen beschwere, die einen blauen Parkausweis aufs Armaturenbrett legen, deren Behinderung aber für andere nicht sichtbar sei. Ja, die gibt es, diese "unsichtbaren" Behinderungen. Aber da hilft ein Blick in die Voraussetzungen, die für die Beantragung einer solchen Erleichterung nötig sind, weiter: Man hat entweder eine "außergewöhnliche Gehbehinderung" (Merkzeichen aG im Schwerbehindertenausweis) oder ist blind (Merkzeichen Bl). Außerdem kommen noch durch Contergan geschädigte Menschen in diesen "Genuss" oder Personen, die eine vergleichbare Behinderung haben, wie z. B. amputierte Gliedmaßen.

Ich finde da nichts, das man mal eben übersehen könnte. Kristina Vogel hatte vermutet, dass ihr Gegenüber zu Unrecht mit einem fremden Parkausweis den Behindertenparkplatz benutzt hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie recht hat, ist sehr hoch.

Das Thema Behindertenparkplätze ist ein Dauerbrenner. Auch ich hatte hier schon meinen Senf dazugegeben. Ich beobachte eine zunehmende Rücksichtslosigkeit und eine immer stärkere Egozentrik: "Zuerst komme ich und dann lange niemand mehr." 

Aber man belegt solch einen Parkplatz nicht eben mal "kurz", weil man schnell in den Supermarkt oder zum Geldautomaten will. Man macht das auch dann nicht, wenn gerade zwei Behindertenparkplätze frei sind. Was maßen sich solche Egomanen an, dass sie glauben, beurteilen zu können, dass in der nächsten Zeit nur einer davon benötigt wird und es nichts ausmacht, wenn sie sich einen davon unter den Nagel reißen?

Leute, es ist eine durch und durch rücksichtslose Art und Weise, so mit seinen Mitmenschen umzugehen. Wenn es noch eines Beispiels bedarf, dass man von einer Sekunde auf  die andere von einem gesunden Menschen zu einem behinderten werden kann, der auf die Unterstützung seiner Mitmenschen angewiesen ist, dann muss nicht unbedingt der Unfall von Kristina Vogel herangezogen werden. Solche Beispiele gibt es immer wieder in der eigenen Umgebung: den Verwandten, der nach einem Schlaganfall gelähmt ist und kaum noch sprechen kann; den Kollegen, der sein Leben nach einem Arbeitsunfall im Rollstuhl weiterleben muss; das Kind, das von einem betrunkenen Autofahrer erfasst und zu einem Pflegefall wird. 

Bringt eurem Leben als gesunder und nicht beeinträchtigter Mensch Wertschätzung entgegen. Zu tun können, wonach einem der Sinn steht und nicht von einer Behinderung ausgebremst  zu werden, ist ein Privileg, für das man dankbar sein sollte. Es ist kein Verdienst.

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