Ostern ist, wenn man zusammen ins Feuer starrt

Ostern steht vor der Tür, in der Tageszeitung
wurden kürzlich die Orte und Termine für die Osterfeuer bekanntgegeben. In unserer Kleinstadt wird es weniger Osterfeuer geben. Obwohl unsere gesamte Kommune nur knapp 19.000 und unser Stadtteil etwas mehr als 6.500 Einwohner hat, hat unser Osterfeuer jedes Jahr bis zu 2.000 Menschen angezogen. Damit gehörte es zu den beliebtesten in der Region Hannover. Das war mir bis vor Kurzem gar nicht so klar, aber ich gehe davon aus, dass sich das unser Lokalblättchen nicht aus den Fingern gesogen hat.

In diesem Jahr heißt es also erstmals seit fast 40 Jahren: aus die Maus. Jahr für Jahr wurde die Veranstaltung von der Freiwilligen Feuerwehr organisiert. Die hatte jetzt endgültig die Nase voll, als trotz ihrer jahrelangen Bitten, auf dem Feuerplatz keinen Müll oder Altmöbel zu entsorgen, zu viele Holzköpfe es trotzdem getan haben. Vermutlich kamen sie sich auch noch besonders clever vor, obwohl der hiesige Abfallentsorger privaten Sperrmüll beliebig oft im Jahr vor Ort abholt. 
Die Feuerwehr eines anderen Stadtteils behilft sich mit Feuerkörben, ein paar kleinere Feuer wird es auch noch geben.

Es ist nicht so, dass ich unser Osterfeuer in diesem Jahr vermissen werde. Wir waren früher, als unsere Kinder noch Kinder waren, jedes Jahr dort. Die beiden trafen dort ihre Freunde, wir die Eltern der Freunde. Es war eine nette Atmosphäre. Da machte es auch nichts, dass wir hinterher so rochen, als seien wir selbst geräuchert worden. Ein Bier in der einen Hand, die Bratwurst in der anderen, ein bisschen Smalltalk untermalt mit dem Knistern und Knacken des brennenden Holzhaufens - das war immer schön. 
Vor ein paar Jahren waren wir noch mal da. Nur zu zweit, ohne die Kinder, die längst Erwachsene sind und andere Dinge tun, als sich biertrinkend am Ostersamstag an ein Feuer zu stellen. Es war sehr gut besucht, aber nachdem wir in der Dunkelheit eine Runde über den Platz gedreht und nach bekannten Gesichtern Ausschau gehalten hatten, haben wir es aufgegeben: Es war niemand gekommen, den wir kannten. Der Reiz, einfach so herumzustehen, geht gegen null. Im nächsten Jahr haben Freunde von uns unsere Beobachtung aus dem Vorjahr bestätigt: viele Fremde, kaum Einheimische.

Ein Redakteur unserer Tageszeitung schrieb kürzlich einen Artikel über den Niedergang der Osterfeuer. In der Region Hannover wird es am kommenden Wochenende sechs weniger geben als noch 2018. "Der Rückgang von jahrhundertealten Traditionen ist ein Indiz dafür, wie die bisherigen Formen von Gemeinschaft allmählich erodieren." Entsteht Gemeinschaft, wenn man sich am Osterfeuer trifft? Oder ist es nicht eher so, dass schon eine Gemeinschaft da sein muss, die unter anderem an der Teilnahme an einem solchen Brauch ihren Ausdruck findet? Als weitere Beispiele für gemeinschaftsstiftende Ereignisse führt der Autor auch Nachbarschaftsfeste an.

In meiner Kindheit war ich einige Male über Ostern im Heimatdorf meiner Eltern im Weserbergland. Ich hatte dort eine Freundin in meinem Alter, mit der ich im November am Martinstag die Nachbarn aus ihren Häusern klingelte oder klopfte. In einem 600-Seelen-Dorf kann man auf einiges, was für Städter normal ist, ganz gut verzichten. Auch auf eine Klingel an der Haustür. Ich kannte auch etliche andere Kinder und deren Eltern. Am Ostersamstag bekamen wir Kinder eine brennende Fackel in die Hand und gingen in Begleitung unserer Eltern in der Dunkelheit auf den Dorfplatz. Ich habe das als spannend in Erinnerung: das Halten der Fackel in meiner kleinen Hand, die Ermahnungen meiner Eltern, die Fackel immer schön aufrecht zu halten und damit niemandem zu nahe zu kommen und das Anzünden des Holzhaufens. Das ganze Dorf war da, alle kannten sich, die Erwachsenen passten aus den Augenwinkeln auch auf Kinder auf, die nicht ihre eigenen waren. Das war Gemeinschaft, auch wenn das Dorfleben grundsätzlich nicht immer von idyllischen Momenten geprägt ist. Das Osterfeuer bei uns habe ich zumindest in den letzten Jahren nicht so empfunden. Wie soll ein Gemeinschaftsgefühl aufkommen, wenn man sich überwiegend unter Fremden befindet?

Auch über das Beispiel der Nachbarschaftsfeste habe ich nachgedacht. In unserem Wohnviertel hatte eine vor einigen Jahren neu zugezogene Familie diese Idee ins Rollen gebracht. Einmal waren nur die Anwohner des Weges angesprochen, an dem wir auch leben, also zehn Familien. Es wurden ein paar Bierzeltgarnituren aufgestellt, man kam auch mit Menschen, die man sonst seltener sah, ins Gespräch. Später wurden diese Treffen auf einen größeren Bereich ausgeweitet, der ungefähr 30 Familien aus ebenso vielen Häusern umfasste. Es passierte, was bei zu großen Gruppen fast immer passiert: Jeder setzte sich zu den Nachbarn, die er schon kannte. Ehrlich: Mir sind die Nachbarn, die unmittelbar neben uns wohnen, wichtiger als die, zu denen ich sonst keine Berührungspunkte habe. Wir sind einige Male hingegangen, im letzten Jahr hatten wir wegen eines anderen Termins keine Zeit. 
Ihr habt vielleicht den Text gelesen, in dem es um einen Nachbarn geht, der verstorben ist und von dessen Tod wir erst fast ein Jahr später erfahren haben. Keiner von denen, die davon wussten, ist auf die Idee gekommen, mit einer Beileidskarte von Tür zu Tür zu gehen, auf der alle unterschreiben können. Wenn das nachbarschaftliche Empfinden so schwach ausgeprägt ist, rettet auch ein Nachbarschaftsfest nichts mehr.

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