Plötzlich weg


Wir haben eine Standardgarage in einer langen Reihe, wie es sie an vielen Orten gibt. Das übliche Maß, ein Metalltor, das war's.  Unsere ist die zweite Garage, die erste wird seit einer Weile von ihren Besitzern nicht mehr genutzt. Die dritte Garage gehört einem Ehepaar, dessen erwachsene Kinder nicht mehr hier wohnen. Beide Garagennachbarn sehen wir nur, wenn wir an unseren Autos oder in unserem Viertel unterwegs sind. Beide Ehepaare sind nette Leute, mit denen wir uns über Alltagsdinge unterhalten, wenn wir uns mal begegnen. So weit, so gut.

Letzte Woche ist mir beim Ausparken meines Autos aufgefallen, dass direkt vor der dritten Garage ein kleines bisschen Unkraut wächst. Na ja, der Mann ist noch nicht so lange im Ruhestand, früher ist er immer mit seinem Wagen zur Arbeit gefahren. Muss er nun nicht mehr, hier kommt man auch gut mit dem Fahrrad oder zu Fuß klar.

Irgendwann in dieser Woche dachte ich in derselben Situation: Das Unkraut ist immer noch da, jetzt ein bisschen größer. Die Garage scheint für die Nachbarn nun wirklich überflüssig geworden zu sein. Man könnte ja mal fragen, was sie damit vorhaben.
Am selben Tag erzählte ich das einer Bekannten, die wegen ihres Berufs hier sehr viele Leute kennt. Als ich auf die dritte Garage zu sprechen kam, die mit dem Unkraut davor, sagte sie: "Aber Herr L. lebt doch gar nicht mehr!"
Ich konnte es nicht glauben. Meinten wir denselben Mann, der diesen einen bestimmten Beruf hatte?
Ja, wir meinten denselben Mann.

Ich habe mich erkundigt: Unser Garagennachbar, dessen Haus nur einen Steinwurf von unserem entfernt ist, ist vor fast einem Jahr verstorben. Aber wir haben rein gar nichts davon mitbekommen, obwohl wir nicht zu denen gehören, die sich einigeln und immer ganz für sich sind. Wofür ist das nun ein Zeichen? Hätte ich beim Auftauchen des Unkrauts vor dem Garagentor bei ihm und seiner Frau geklingelt, hätte das nichts daran geändert, dass ich zu spät gekommen wäre. Viel zu spät, um eventuell Hilfe anzubieten oder sonst etwas Sinnvolles zu tun oder zu sagen. Sicher, fast ein Jahr, in dem wir ihn nicht gesehen hatten, ist eine lange Zeit. Aber als zu Hause mal die Rede darauf kam, haben wir eher angenommen, das Paar würde die durch den Ruhestand gewonnene Zeit für Reisen oder den Besuch der Kinder nutzen. Mit dem, was wirklich passiert war, hatte keiner von uns gerechnet. Mich hat das schockiert.

Ist Euch das auch schon passiert, dass sich um Euch herum Veränderungen ereignen, Ihr sie aber erst viel später bemerkt und Euch dann fragt: Wie konnte mir das entgehen? Ich bin auf Eure Antworten gespannt.

 

Kommentare

  1. Mir ist kürzlich etwas Ähnliches passiert wie Dir. In meiner weiteren Nachbarschaft lebte eine sehr nette ältere Dame. Wir hatten keinen intensiveren Kontakt, begegneten uns aber des Öfteren auf der Straße und haben dann meist einen Klönschnack miteinander gehalten.

    Ich wusste, dass sie vor zwei Jahren schwer erkrankt war, und habe ihr daraufhin bei mehreren Begegnungen meine Hilfe angeboten, z. B. bei Einkäufen oder wenn sie einfach mal Gesprächsbedarf hat. Sie hat sich stets sehr freundlich bedankt, hat meine Hilfe aber nie in Anspruch genommen. Sie war eine sehr patente und starke Frau, verwitwet, die Kinder lebten weit entfernt, und ich hatte das Gefühl, es war ihr wichtig, ihr Leben alleine zu meistern.

    Im Frühjahr fiel mir auf, dass ihr Wagen schon eine Zeit lang nicht mehr in unserer gemeinsamen Tiefgarage und auch nicht auf der Straße stand. Einige Wochen später traf ich einen Nachbarn, der im selben Haus lebt wie diese Dame. Ich sprach ihn darauf an, dass ich sie schon länger nicht mehr gesehen hatte, und erfuhr, dass sie mittlerweile in einem Hospiz gestorben war.

    Mir hat es leid getan, dass ich mich nicht von ihr verabschieden konnte und dass ich ihr nicht habe beistehen können. Andererseits muss ich aber auch sagen, dass wir ja zu ihren Lebzeiten nie einen engeren Kontakt hatten. Ich kann verstehen, dass sie am Ende alleine sein wollte. Und ich sage mir: Ich kann nicht überall sein. Jeder führt sein Leben, und wenn man über viele Jahre hinweg nicht enger miteinander zu tun hat, dann passiert es eben, dass ein Mensch geht, ohne dass man unmittelbar davon erfährt.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das kann ich gut nachvollziehen. Aber dieser Nachbar ist noch vor seinem 69. Geburtstag, etwa eineinhalb Jahre nach seiner Pensionierung, gestorben. Wie ich mittlerweise weiß, war er schwer erkrankt. Wenn wir uns sahen, ist mir aber nichts aufgefallen. Mehrere andere Nachbarn sind über 90 Jahre alt und bauen ganz langsam ab; bei diesem einen kam es mir so vor, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.

      Löschen
  2. Das Gefühl kann ich sehr gut nachvollziehen.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Und hier ist Platz für deinen Kommentar: