Wer gefährdet wen?

In der Innenstadt von Hannover fand heute eine Demo gegen die Einführung des neuen niedersächsischen Polizeigesetzes statt. Je nachdem, wer gefragt wurde, waren dort 2.000 (sagt die Polizei) oder 6.000 Teilnehmer (sagen die Veranstalter). Einer der Kritikpunkte ist, dass das Gesetz einen 30-tägigen sogenannten Unterbindungsgewahrsam für Gefährder vorsieht, der sich auf bis zu 74 Tage verlängern lässt. Die Sache mit den Gefährdern kennt man schon aus dem bayerischen Polizeigesetz. Es weiß kein Mensch, was jemanden in diese Kategorie rutschen lässt. Viele Leute glauben, sie seien sicher davor, in so einen Verdacht zu geraten, weil sie selbst ein unbescholtenes Leben führen und man sich auf das rechtmäßige Handeln von Polizei und Gerichtsbarkeit verlassen kann. Interessant ist, dass auch die Juristen des Landtages diese Art der Inhaftierung für verfassungsrechtlich bedenklich halten. Eine Haltung, die ich gut nachvollziehen kann. Der juristische Beratungsdienst des Landtags fand im Gesetzentwurf insgesamt rund 30 schwerwiegende Mängel.

Tatsache ist: Es kann theoretisch jeder zu einem Gefährder werden; einfach deshalb, weil dieses Wort an Dehnbarkeit kaum zu überbieten ist. Ein Gefährder soll jemand sein, von dem die Polizei vermutet, dass er eine terroristische Straftat vorbereitet. Kann es sein, dass man als solcher eingeschätzt wird, wenn man einem mutmaßlichen oder späteren Terroristen arglos eine Wohnung vermietet? Denkbar. Kann es sein, dass man aus der Sicht der Behörden zum Gefährder wird, weil man regelmäßigen Kontakt zu jemandem hat, der sich irgendwann als Terrorist entpuppt? Da diese Frage nicht rechtssicher beantwortet werden kann, ist es möglich, dass man selbst in den polizeilichen Fokus gerät.

Das Schlimme ist: Auch, wenn sich ein solcher Verdacht
gegen einen Bürger letztlich als unbegründet herausstellt, bleibt immer etwas vom ursprünglichen Vorwurf an der Person hängen: "Da war doch mal was..." Das wurde schon deutlich, als 2003 vom niedersächsischen LKA die Möglichkeit geschaffen wurde, über ein elektronisches Postfach anonyme Hinweise auf Korruption zu geben, die nicht zurückverfolgt werden können.
Angezeigt wurden unter anderem ein Unternehmen und dessen Geschäftsführer. Sie sollten Subventionsbetrug begangen haben. Das Unternehmen wurde vom LKA durchsucht, es wurden Akten beschlagnahmt, die Ermittlungen dauerten ein halbes Jahr. Danach musste der Staatsanwalt einräumen, dass es sich um böswillige und haltlose Unterstellungen eines Denunzianten gehandelt hatte. Der Firma entstand ein sechsstelliger Schaden, sie erlitt einen Imageverlust, und der Geschäftsführer denkt mit Schrecken an diese Zeit zurück. Ähnlich erging es  Mitarbeitern der Bundeswasserstraßenverwaltung und der hannöverschen Bezirksregierung. Alle befürchteten, dass davon etwas zurückbleibt. In der Tagespresse wurde sogar ausführlich über den Fall des Beamten in der Bezirksregierung berichtet, der schließlich die Behörde gewechselt hatte, weil er das Misstrauen der Kollegen nicht mehr ertrug, das ihm trotz seiner erwiesenen Unschuld entgegenschlug.

Ich habe ein sehr großes Unbehagen, wenn ich mir diese Entwicklung ansehe. Sicherer wird unsere Welt durch Gesetze dieser Art nicht, nur überwachter und unfreier.
In einem anderen Artikel hatte ich mir schon mal darüber Gedanken gemacht, wo wirklich unsere größten Risiken liegen - mit teilweise überraschenden Ergebnissen. 
Da es in jedem neuen Polizeigesetz auch um die Verstärkung der Überwachung geht, zeige ich euch auch hierüber einen Text.

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