
Aber neu ist das eben nicht. Als ich in den 1980-ern nach der Schule überlegt hatte, welchen Weg ich einschlagen soll, war mir klar, dass eine ganze Reihe von Berufen, für die ich mich grundsätzlich interessiert hatte, ausschied: Mit einer Behinderung schrumpfen die Möglichkeiten nun mal zusammen. Was blieb war "irgendetwas im Büro". Aber mein künftiger Beruf durfte nicht so schlecht bezahlt sein, dass man den Pfennig ständig umdrehen musste. Ich wollte ein einigermaßen gutes Einkommen, das mir finanzielle Unabhängigkeit sichern sollte. Haltet mich jetzt ruhig für materialistisch, aber ernsthaft: Es gibt auch darum so viele schlecht bezahlte Jobs, weil es immer eine Frau gibt, die sie macht.
In dieser Situation hatte ich mich damals bei einem amerikanischen IT-Konzern für eine kaufmännische Ausbildung beworben. An einem geselligen Nachmittag haben die erfolgreichen Bewerber, zu denen ich auch gehörte, dann erfahren, welche Chancen das Unternehmen seinen Auszubildenden bereithält. Veranstaltungen zur Teambildung gehörten ebenso dazu wie Stipendien für ein Uni-Studium nach der erfolgreichen Ausbildung. Es klang richtig toll! Aber dann hörte ich von jemandem, der in dieser Zeit dort im mittleren Management gearbeitet hat, was passiert, wenn man in seiner Leistung nachlässt und den hohen Erwartungen seiner Vorgesetzten nicht mehr genügt: Es kommt zu maximal drei Gesprächen zwischen dem Chef und dem "Minderleister", bei denen dieser Besserung geloben muss. Gelingt es ihm nicht, seine Leistung auf dem Niveau zu stabilisieren, das man von ihm erwartet, ist das Arbeitsverhältnis schnell beendet. Mit diesem Wissen habe ich es vorgezogen, dort nicht anzufangen, was sich als richtige Entscheidung erwiesen hat.
So ein "Keeper-Test" ist also nichts Neues, sondern wird seit Jahrzehnten in verschiedenen Ausprägungen praktiziert. Als mies empfinde ich das aber trotzdem, weil ignoriert wird, dass Menschen keine Maschinen sind, die Strom und eventuell ein paar Tropfen Öl brauchen. Menschen haben in ihren ganz normalen Lebensläufen Krisen, die so belastend sein können, dass sie auf das Berufsleben durchschlagen. Jemandem dann noch auf der Grundlage einer solchen an sich banalen Überlegung wie in diesem "Test" die Existenzgrundlage zu entziehen, ist armselig.
Guten Morgen, als Arbeitgeber wundert mich diese Herangehensweise auch. Lassen wir den sozialen Aspekt mal weg und denken uns in den Manchester Kapitalismus: du musst den sogenannten Minderleister ja auch durch einen besseren ersetzen. Fragt sich, wo der heutzutage her kommen soll... und zum anderen werden die Mitarbeiter, die in einem Klima der Angst arbeiten sollen, auch mit Sicherheit nicht besser dadurch. Also mein Fazit: das System ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch zu kurz gedacht.
AntwortenLöschenSo sieht's aus. Und mit dem Mitarbeiter geht Know-How. Aber es brechen ja bald schon neue Zeiten im Personalmanagement an: Wenn die derzeitige spezifische KI ein bisschen ausgereifter ist, werden Personalentscheidungen nur noch nach sachlich-funktionalen Kriterien getroffen. Wie ein Algorithmus dann soft skills beurteilen wird, hat sich mir noch nicht erschlossen.
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