"Und raus bist du!"


Vor ein paar Tagen ist mir erstmals der Begriff "Keeper-Test" über den Weg gelaufen. Damit ist gemeint, dass sich Manager vorstellen sollen, wie es wäre, wenn einer ihrer Mitarbeiter darüber nachdächte, die Firma zu verlassen: Würde er versuchen, ihn zu halten, weil er ihn für unersetzbar hält, oder nicht? Nach diesem Prinzip wird bei einem US-Streamingunternehmen sehr strikt verfahren, was auch dazu führte, dass der Unternehmenschef sogar seinen langjährigen Freund feuerte, der seit 18 Jahren für die Firma gearbeitet hatte und zum Schluss Produktionsleiter gewesen ist. Der Abgang wird den Ex-Kollegen dort mit einer Abfindung etwas versüßt.

Wie findet ihr das? Ökonomisch sinnvoll oder brutal und gnadenlos? Was mich irritierte, war der Umstand, dass diese Nachricht in etlichen Online-Publikationen zu lesen war und der Eindruck erweckt wurde, es handele es sich um ein neues Vorgehen. Das Wort "Personalmanagement" will ich hier nicht in den Mund nehmen. In allen Artikeln, die sich damit beschäftigten, wurde dieser Umgang mit den Mitarbeitern kritisiert und es war von einem Klima der Angst die Rede. Ich kann mir gut vorstellen, dass die dort tätigen Angestellten immer wieder zu ihren Kollegen schielen und sich fragen, wen es wohl als Nächsten treffen wird und ob der Kelch noch mal an ihnen vorübergeht. So ein Arbeitsklima ist ungesund und wirkt sich bei fast allen Menschen ungünstig auf die seelische Gesundheit aus; irgendwann kommen dann psychosomatische Beschwerden hinzu. Mit den oft dauerhaften Erkrankungen, die sich aus so einer ständigen Anspannung ergeben, muss sich dieses Unternehmen "glücklicherweise" nicht mehr befassen, weil den Betroffenen zu diesem Zeitpunkt längst der Stuhl vor die Tür gestellt wurde.

Aber neu ist das eben nicht. Als ich in den 1980-ern nach der Schule überlegt hatte, welchen Weg ich einschlagen soll, war mir klar, dass eine ganze Reihe von Berufen, für die ich mich grundsätzlich interessiert hatte, ausschied: Mit einer Behinderung schrumpfen die Möglichkeiten nun mal zusammen. Was blieb war "irgendetwas im Büro". Aber mein künftiger Beruf durfte nicht so schlecht bezahlt sein, dass man den Pfennig ständig umdrehen musste. Ich wollte ein einigermaßen gutes Einkommen, das mir finanzielle Unabhängigkeit sichern sollte. Haltet mich jetzt ruhig für materialistisch, aber ernsthaft: Es gibt auch darum so viele schlecht bezahlte Jobs, weil es immer eine Frau gibt, die sie macht. 

In dieser Situation hatte ich mich damals bei einem amerikanischen IT-Konzern für eine kaufmännische Ausbildung beworben. An einem geselligen Nachmittag haben die erfolgreichen Bewerber, zu denen ich auch gehörte, dann erfahren, welche Chancen das Unternehmen seinen Auszubildenden bereithält. Veranstaltungen zur Teambildung gehörten ebenso dazu wie Stipendien für ein Uni-Studium nach der erfolgreichen Ausbildung. Es klang richtig toll! Aber dann hörte ich von jemandem, der in dieser Zeit dort im mittleren Management gearbeitet hat, was passiert, wenn man in seiner Leistung nachlässt und den hohen Erwartungen seiner Vorgesetzten nicht mehr genügt: Es kommt zu maximal drei Gesprächen zwischen dem Chef und dem "Minderleister", bei denen dieser Besserung geloben muss. Gelingt es ihm nicht, seine Leistung auf dem Niveau zu stabilisieren, das man von ihm erwartet, ist das Arbeitsverhältnis schnell beendet. Mit diesem Wissen habe ich es vorgezogen, dort nicht anzufangen, was sich als richtige Entscheidung erwiesen hat.

So ein "Keeper-Test" ist also nichts Neues, sondern wird seit Jahrzehnten in verschiedenen Ausprägungen praktiziert. Als mies empfinde ich das aber trotzdem, weil ignoriert wird, dass Menschen keine Maschinen sind, die Strom und eventuell ein paar Tropfen Öl brauchen. Menschen haben in ihren ganz normalen Lebensläufen Krisen, die so belastend sein können, dass sie auf das Berufsleben durchschlagen. Jemandem dann noch auf der Grundlage einer solchen an sich banalen Überlegung wie in diesem "Test" die Existenzgrundlage zu entziehen, ist armselig.

Kommentare

  1. Guten Morgen, als Arbeitgeber wundert mich diese Herangehensweise auch. Lassen wir den sozialen Aspekt mal weg und denken uns in den Manchester Kapitalismus: du musst den sogenannten Minderleister ja auch durch einen besseren ersetzen. Fragt sich, wo der heutzutage her kommen soll... und zum anderen werden die Mitarbeiter, die in einem Klima der Angst arbeiten sollen, auch mit Sicherheit nicht besser dadurch. Also mein Fazit: das System ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch zu kurz gedacht.

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    1. So sieht's aus. Und mit dem Mitarbeiter geht Know-How. Aber es brechen ja bald schon neue Zeiten im Personalmanagement an: Wenn die derzeitige spezifische KI ein bisschen ausgereifter ist, werden Personalentscheidungen nur noch nach sachlich-funktionalen Kriterien getroffen. Wie ein Algorithmus dann soft skills beurteilen wird, hat sich mir noch nicht erschlossen.

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