"Früher war alles b..." Unsinn!

Wir scheinen uns in einer Zeit zu befinden, in der es zahllose Menschen gibt, die von sich glauben, den Durchblick zu haben. Den persönlichen, gesellschaftlichen, politischen und den Komm-mir-nicht-mit-sowas-Durchblick. Nicht alle, aber viele von ihnen sind der Meinung, dass früher alles besser war, weil es von ein paar Sachen (angeblich) weniger gab: weniger Kriminalität, weniger Ausländer und noch ein paar Dinge mehr - weniger.

Kürzlich habe ich mich mit meiner besten Freundin getroffen, die ihr hier schon ein bisschen kennengelernt habt. Wir sind jetzt beide über 50, und da wir uns ja schon sehr lange kennen, redeten wir auch über Begebenheiten, die uns früher passiert sind. In der Zeit übrigens, in der alles besser war. In unserer Schulzeit. An die Frauen, die hier mitlesen: Wenn ihr etwas erlebt hat, was dem ähnelt, was jetzt kommt, würde ich mich über Euren Kommentar freuen. Selbstverständlich sind auch die Männer eingeladen, sich zu äußern.
© CFalk/pixelio.de
Ich habe meiner Freundin eine Geschichte erzählt, die passiert ist, als ich ungefähr 10 oder 11 Jahre alt war, also 1976 oder 1977. Ich fuhr die zwei Kilometer zur Schule meistens mit dem Fahrrad und nahm immer die kürzeste Strecke. An einem Morgen, als ich vor der roten Ampel darauf wartete, eine belebte Straße zu überqueren, stellte sich ein Mann neben mich. Bleiches Gesicht, untersetzte Statur, ungepflegt, mit einer Pudelmütze auf den blonden Haaren und vielleicht zehn oder 15 Jahre älter als ich. Er stellte sich so dicht neben mich, dass zwischen uns nur wenige Zentimeter Platz waren. Nein, es war kein Gedränge, wo sich so etwas ergibt, und taghell war es übrigens auch. Dieser Typ beugte sich zu mir und raunte: "Hast du es schon mal gemacht? Das wird schön mit uns. Ich warte hier morgen wieder auf dich." Als die Ampel grün wurde, bin ich losgefahren, als wäre der Teufel hinter mir her. Ich habe das damals niemandem erzählen können, ich war ja noch ein Kind. Aber ich habe noch eine ganze Weile höllisch aufgepasst, diesem Mann nicht mehr zu begegnen.

Mit dreizehneinhalb wurde ich konfirmiert. Zu der Feier trug ich, was damals üblich war: eine cremefarbene Bluse, eine schwarze Samthose und einen passenden schwarzen Bolero. Da klar war, dass ich diese Kleidung nur zu diesem Anlass getragen hatte, bot meine Mutter sie im Kleinanzeigenteil unserer Zeitung zum Kauf an. Als ich allein zu Hause war, klingelte das Telefon und ein Mann erkundigte sich nach der schwarzen Hose. Er fragte, was ich denn damit gemacht habe und es seien doch innen bestimmt Flecken vom ... na, ich wisse doch wohl, was er meine. Ich legte auf und hatte danach Sorge, dass er wieder anrufen würde. Diesmal hatte ich es meinen Eltern erzählt, aber man konnte in diesem Moment nichts tun.

© Anne Garti/pixelio.de
Meine Freundin hat sich meine Berichte angehört und dann erzählt, was ihr während der Grundschulzeit passiert war. Als sie die erste oder zweite Klasse besucht hatte, hatte sie sich nach Schulschluss zu Fuß auf den Weg nach Hause gemacht. Nach kurzer Zeit bemerkte sie, dass ihr ein Mann folgte. Er hatte sie fest im Blick und hielt einen gleichbleibenden Abstand, indem er ihr bei jeder Abzweigung auf den Fersen blieb. Meine Freundin hat dann einen günstigen Moment, in dem sie in eine Straße abgebogen war und er sie für einen kurzen Augenblick nicht sehen konnte, genutzt, und hat sich in einem Gebüsch versteckt. Der Mann hat sich nach ihr umgesehen, ist noch eine Weile suchend hin und her gegangen und hat dann aufgegeben. Sie hat es gleich ihrer Mutter erzählt, aber ist diesem Mann dann nicht mehr begegnet. Meine Freundin kann sich bis heute an die Angst, die sie hatte, erinnern und weiß, dass sie sich danach noch eine ganze Weile unsicher gefühlt hat.

Die beiden Männer, denen wir damals begegnet sind, hatten nichts an sich, was heute in der Zeitung gern als "südländisch" bezeichnet wird, worunter viele jedoch reflexartig Flüchtlinge verstehen, obwohl genauso gut Italiener, Griechen oder andere Südeuropäer gemeint sein könnten. Oder Deutsche, die so aussehen, dass sie für "Südländer" gehalten werden.
Dieser eklige Knilch am Telefon sprach übrigens reinstes Hochdeutsch, da war nicht mal der Hauch eines Akzents.
Nein, ihr Lieben, die Ihr meint, früher sei alles besser gewesen, als es hier noch weniger Ausländer gegeben hat: Triebgesteuerte und Pädophile hat es schon immer gegeben und wird es leider immer geben. Das ist nicht schlimmer geworden, seitdem 2015 so viele Menschen aus Krisengebieten nach Europa gekommen sind. Es wird nur von denen, die eine bestimmte Stimmung machen wollen, breitgetreten, bis die gewünschte Botschaft in der Wahrnehmung vieler Menschen angekommen ist. 
Wusstet Ihr übrigens, dass 27 Prozent der EU-Bürger es in Ordnung finden, wenn "in manchen Situationen" Geschlechtsverkehr ohne beiderseitige Zustimmung stattfindet? Unter den deutschen Befragten ist der Prozentsatz genauso hoch. Das hat eine EU-Studie ergeben, die 2016 veröffentlicht wurde. In Bulgarien ist die Zustimmung deutlich größer. Na, schönen Dank auch.

Ich werde morgen auf der Frankfurter Buchmesse sein. Entzückt habe ich heute früh gelesen, dass Herr Höcke dann dort sein Buch vorstellen wird. Was im Zeitungsartikel auch stand: Ein Standinhaber, der Buchstützen in Form von Karikaturen verkauft, überlegt, das eine oder andere Exemplar lieber nicht auszustellen, weil es Besucher  provozieren könnte, die zu einem der benachbarten rechten Verlage wollen. 
Ich will morgen auch zu den unabhängigen Verlagen - dieses Mal ist ihr Stand direkt neben dem rechten Loci-Verlag. Loci hat den Antaios Verlag übernommen, an dessen Stand es 2017 tumultartige Szenen gegeben hatte. Es könnte also insgesamt ein interessanter Tag werden. Wenn es etwas zu berichten gibt, werde ich das tun.

 

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