"Warum hat man uns das nicht früher gesagt?" Ein Rückblick, der ein Ausblick war

Am 1. November habe ich eine alte Ausgabe unserer
örtlichen Tageszeitung, der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, in der Hand gehalten.
 Sie ist vor genau dreißig Jahren erschienen, am 1. November 1995. In der unteren Hälfte der Titelseite befand sich unter anderem eine kurze Meldung, nur zwanzig schmale Zeilen lang. Die Überschrift lautete: "In 30 Jahren wird das Weltklima unerträglich"

Interessant. "In 30 Jahren". Also jetzt. Was hatten Fachleute wohl damals über das heutige Klima vorausgesagt?

"Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung zur globalen Umweltveränderung*), Professor Horst Zimmermann (Marburg), hat eindringlich vor drohenden Klimaveränderungen gewarnt. Bei der Vorstellung des Umwelt-Jahresgutachtens 1995 sagte Zimmermann am Dienstag in Bonn, wenn es mit dem Kohlendioxid-Ausstoß weitergehe wie bisher, komme es in spätestens dreißig Jahren zu einem für die Menschen unerträglichen Weltklima. Nach einer Übergangsfrist von höchstens fünf Jahren sollte der Kohlendioxid-Ausstoß deshalb weltweit jährlich um mindestens ein Prozent verringert werden."

Das hat nicht nur nicht so gut, sondern gar nicht geklappt. Als Professor Zimmermann seine Einschätzung öffentlich machte, betrug der weltweite CO₂-Ausstoß 23.532 Millionen Tonnen. Danach ging es fast durchgehend bergauf. Die Grafik zeigt lediglich zwei kleine Dellen: 2009 führten die Folgen der globalen Wirtschaftskrise und 2020 die Covid-19-Pandemie zu einem moderaten Rückgang des CO-Ausstoßes. 2023 betrugen die Emissionen jedoch bereits 37.792 Millionen Tonnen Kohlendioxid.

Aber der Artikel hat noch ein paar weitere Zeilen.
"Besorgniserregend sei es, dass die biologische Vielfalt in immer kürzeren Zeitabständen abnimmt, sagte Zimmermann. Zu den Hauptursachen für diese Entwicklung gehörten die Zerstörung natürlicher Lebensräume durch die immer stärker zunehmende Verstädterung, die Rodung der Tropenwälder und der Massentourismus."
Man ahnt es bereits: Auch das hat nicht geklappt. Wie sich dem Living Planet Index entnehmen lässt, ist die durchschnittliche Größe der überwachten Wildtierpopulationen zwischen 1970 und 2020 um 73 Prozent zurückgegangen. Bei den Insekten und Meerestieren ist die Situation ähnlich schlecht.
Diese Entwicklung wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus: Ernährung, Gesundheit, Klima, Kultur und Wirtschaft.

Der Artikel schließt mit diesem Satz: "Nach neuesten Untersuchungen darf der globale Temperaturanstieg 0,2 Grad Celsius in einem Jahrzehnt nicht übersteigen." Ich hatte vermutet, dass auch diese Vorgabe gerissen worden ist, wurde aber überrascht: Copernicus, das Erdbeobachtungsprogramm der EU, hat hierzu Daten bereitgestellt. Danach beträgt der Temperaturanstieg zwischen 1995 und 2024 pro Dekade 0,26 +/- 0,05° C und damit etwas mehr als der vom Beirat geforderte Höchstwert. Der Haken an der Sache: Er hat sich beschleunigt, sodass nicht zu erwarten ist, dass er auf diesem Niveau bleibt.

Ich wiederhole das hier noch einmal: Dieser Zeitungsartikel ist vor 30 Jahren erschienen. 30 Jahre, die vergangen sind, ohne dass so viel getan wurde, dass die Entwicklung, vor der hier gewarnt wurde, gestoppt oder wenigstens spürbar gebremst wurde. Auch 1995 waren die genannten Probleme nicht unbekannt: Mehr als zwanzig Jahre früher, 1972, veröffentlichte der Club of Rome die Ergebnisse seiner Studie "Die Grenzen des Wachstums". Die Öffentlichkeit zuckte damals ein bisschen erschrocken zusammen, um sich dann schulterzuckend abzuwenden und wie gewohnt weiterzumachen.
Wie heute.
Gut ist das nicht.


*): Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung zur globalen Umweltveränderung heißt heute Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Es gibt ihn seit 1992. In den Anfangsjahren gehörten ihm zwölf Mitglieder an, jetzt sind es neun. Der Beirat wird für die Dauer von vier Jahren vom Bundeskabinett berufen und besteht aus Professorinnen und Professoren unterschiedlicher wissenschaftlicher Fachbereiche. Der aktuelle Beirat wurde für den Zeitraum 2024 bis 2028 bestellt.

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