Heute ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen. Er wurde 1993 - also vor schlappen 31 Jahren - von den Vereinten Nationen eingeführt und soll das öffentliche Bewusstsein für die Sorgen und Nöte der behinderten Menschen wachhalten und den Einsatz für ihre Würde und Rechte fördern. Der Vorgänger, der Internationale Tag der Behinderten, wurde schon 1981 ins Leben gerufen.
In unserer Tageszeitung gab es anlässlich des heutigen Gedenktages einige Sonderseiten. Sie beschäftigten sich mit dem Reisen, dem Wohnen, dem Arbeiten und den Reha-Möglichkeiten. Inklusion ist der Begriff, der wie eine Klammer über diesen Lebensbereichen steht.
Ich habe die Seiten mit Interesse gelesen. Vielleicht lerne ich ja noch etwas. Doch gleich beim ersten Artikel habe ich mich gewundert. Er trug den Titel "Gemeinsam anders" und die Subheadline "Wenn Inklusion auf dem Arbeitsmarkt gelingen soll, müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer an einem Strang ziehen". Nicht erst mit dem Fettdruck dieser vier Begriffe dürfte den meisten Menschen klar sein, dass Berufstätigkeit von Behinderten nicht klappen kann, wenn sich eine der Seiten verweigert.
Der Artikel verschweigt nicht, dass die Arbeitslosenquote unter den Menschen mit Behinderung mit 10,8 Prozent etwa doppelt so hoch ist wie bei Menschen ohne Behinderung. Interessant ist, dass die Zeitarbeitsfirma Randstad auf ihrer Website empfiehlt, dass es für die Jobsuche besser sein kann, eine Schwerbehinderung zu verschweigen. Es heißt sogar: "Bis zu einem Grad von 30-prozentiger Behinderung ist es ratsam, sich dem Risiko der Vorurteile nicht auszusetzen. Auch eine leichte Behinderung kann die Erfolgschancen leider immer noch verringern."
Auch wenn Randstad an dieser Stelle juristisch nicht ganz korrekt ist¹, ist die Botschaft klar: Die Ehrlichkeit eines behinderten Menschen gegenüber seinem möglichen Arbeitgeber kann sich schädlich erweisen.
Das war schon vor Jahrzehnten so, als ich mich selbst auf dem Arbeitsmarkt umgesehen habe. Inklusion im Berufsleben? Nur Geduld ...
Die Sonderseiten der Zeitung haben beim Themenblock "Reisen" einige hilfreiche Tipps parat. Dazu gehören Hinweise auf Reiseveranstalter, die sich auf Urlaub für behinderte Menschen spezialisiert haben. Die Angebote richten sich zum Beispiel an Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer oder Menschen mit Lernschwierigkeiten. 'Prima!', könnte man spontan meinen, 'dann können Behinderte problemlos Urlaub machen!' Aber: Was kostet das eigentlich? Die Frage ist berechtigt, denn mit dem Reisepreis wird eventuell auch eine vom Veranstalter bestellte Begleitperson bezahlt. Außerdem ist das kein Massengeschäft wie bei bekannten Marken für Pauschalreisen, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Hoteliers spürbare Rabatte gewähren. Kurz: Schnäppchen gibt es hier nicht.
Der 3. Teilhabebericht der Bundesregierung (leider schon vier Jahre alt) spricht eine deutliche Sprache: Während 76 Prozent der Menschen ohne Behinderung ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, gelingt dies nur 44 Prozent der Menschen mit Behinderung. Ein Urlaub mit einem Spezialanbieter wäre für viele Behinderte bestimmt eine feine Sache, aber die meisten von ihnen können ihn sich nicht leisten.
Ebenfalls im Themenblock 'Reisen' geht es um eine Rollstuhlfahrerin, die "bei der Auswahl ihrer Urlaubsziele bewusst sehr blauäugig heran [geht]." Als blauäugig habe ich allerdings diesen ganzen Artikel empfunden. Wer mobilitätseingeschränkt ist, stößt auf Reisen ständig auf Hindernisse. Hat das Hotel innen/außen Stufen? Hat das Zimmer eine bodengleiche Dusche? Gibt es im Frühstücksraum Stufen? Ich kann an dieser Stelle fast endlos weitermachen, wenn ich den Blick auf öffentliche Verkehrsmittel, Restaurants oder touristische Attraktionen richte. Ja, ich kann natürlich ein Ziel ansteuern, um dann vor Ort festzustellen, dass ich das Gebäude nicht betreten kann. Zack, ist der halbe Urlaubstag vorbei.
Kann man sich nicht vor bösen Überraschungen schützen, indem man auf die Hinweise auf Barrierefreiheit und entsprechende Piktogramme achtet? Lange Frage, kurze Antwort: nein. 'Barrierefreiheit' ist kein Begriff, der irgendwie geschützt ist. Fast jeder versteht darunter etwas anderes. Meine persönliche Erfahrung ist: 'Barrierefreiheit' wird oft nur als werbender Begriff platziert. "Sehr her, wir haben ein Herz für Menschen mit Behinderung!", möchten die Anbieter vermitteln. Ein Beispiel: Ich war bis vor kurzem in einer Ferienwohnung, die ausdrücklich als für Rollstuhlfahrer geeignet beschrieben wurde. Spoiler: Sie war es nicht. Ein Mensch im Rollstuhl hätte sich im Spiegel über dem Waschtisch im Bad nicht sehen und das zu hoch angebrachte Fenster dort nicht öffnen können. Außerdem war in der Küche die Mikrowelle sogar für mich im Stehen nur mit Mühe erreichbar und Herd und Spüle konnten nicht unterfahren werden. Die Oberschränke waren so hoch aufgehängt, dass ich - ebenfalls im Stehen - das Geschirr auf den oberen Böden nur auf Zehenspitzen erreichen konnte. Wo ist der Denkfehler? Er liegt darin, dass sehr viele Menschen - und offenbar auch der Vermieter - davon ausgehen, dass ein Mensch mit Mobilitätseinschränkung selbstverständlich nicht allein verreist. Denselben Denkfehler kenne ich allerdings auch von 5-Sterne-Hotels.
Es müssen wohl noch richtig viele Internationale Tage der Menschen mit Behinderung begangen werden, damit es zu einem Wandel kommt.
¹: Der Grad der Behinderung (GdB) drückt sich nicht in Prozent aus. Das war auch schon so, als noch von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) gesprochen wurde. Außerdem: Von einer Schwerbehinderung ist erst ab einem GdB von 50 die Rede. Bei einem GdB von 30 oder 40 ist der betroffene Mensch lediglich 'gleichgestellt', was juristisch so etwas wie 'Schwerbehinderung light" ist.
Quelle Foto: International Day of Persons with Disabilities | United Nations
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