Disability Pride Month - Was ist das und wozu brauchen wir ihn?

Der Disability Pride Month geht auf eine aus den USA stammende Bewegung zurück, die Menschen vereinigen soll, die mit ihrer Behinderung mit Stolz umgehen. Jedes Jahr im Juli soll es darum gehen, auf die Situation und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen aufmerksam zu machen und ihnen in der Öffentlichkeit zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. Es geht auch um den Beitrag, den behinderte Menschen für die Gesellschaft leisten und dass sich die Art und Weise, wie auf sie geblickt wird, zum Positiven verändert.
Nicht zuletzt sollen Behinderte selbstbewusst mit ihren Einschränkungen umgehen und sich gegen Diskriminierungen und Gewalt gegen sie zur Wehr setzen. 

All das ist nach meiner Wahrnehmung in unserer Gesellschaft noch sehr ausbaufähig. Der Juli sollte also deutlich lauter und intensiver begangen werden als bisher. Die LGBTQ-Community, die immer im Juni ihren Pride Month feiert, macht es vor.

Was haben Stolz und Behinderung miteinander zu tun?

Ich habe leichte Schwierigkeiten, mein Leben als mobilitätseingeschränkter Mensch mit dem Gefühl von Stolz zu verknüpfen. Ich kann schlecht darauf stolz sein, behindert zu sein: Das wurde vom Schicksal ausgewürfelt, und ein paar Ärzte hatten ebenfalls ihre Finger im Spiel. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.

Kann ich stolz auf das sein, was ich erreicht habe, obwohl ich behindert bin? Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich mit vielen Menschen, die meinen Lebensweg begleitet haben, Glück hatte: mit meinen Eltern, die unermüdlich versucht haben, das Beste für mich herauszuholen. Ein großes Danke und viele Grüße an euch, wo immer eure Seelen jetzt sein mögen.
Ich hatte Glück mit den Erzieherinnen im städtischen Kindergarten, die mich nicht verhätschelten und mitleidsvoll verschonten, sondern normal behandelten. Kleiner Seitenhieb: Der kirchliche Kindergarten meiner Taufgemeinde wollte mich nicht aufnehmen.
Ich hatte ebenfalls Glück mit den meisten Lehrerinnen und Lehrern, die meinen Schulweg in der Grund- und weiterführenden Schule begleitet haben. Wo es Probleme mit der Barrierefreiheit gab, haben sie ihr Möglichstes getan, um sie auszuräumen. Und das in einer Zeit, in der der Begriff "Inklusion" niemandem geläufig war, Fahrstühle und Rampen in öffentlichen Gebäuden eine Rarität waren und Menschen eine körperliche Behinderung reflexartig mit einer geistigen Beeinträchtigung verbunden haben.
Und - last but not least - hatte und habe ich Glück mit meinem privaten persönlichen Umfeld: mit meinem Mann, meinen Kindern und meinem Freundeskreis, wo ich offene Ohren und bei Bedarf Unterstützung bekomme.

Na klar, ich bin auch Menschen begegnet, die mir das Leben schwer gemacht haben. Die Bandbreite reicht von wildfremden Leuten, die mich in der Fußgängerzone beschimpft haben über Hänseleien auf dem Pausenhof bis zur angeheirateten "Verwandtschaft", der nur ein Blick auf mich genügte, um mich als wertloseres Leben einzustufen. Mit einer Entscheidung, die nicht nur mein Leben stark verändert hat, habe ich diese Person quasi mit entsorgt.
Die schlechten Erfahrungen, die gar nicht ausbleiben, wenn man sich "ungünstig" von der breiten Masse abhebt, können auf Dauer nur ausgehalten werden, wenn man sich ein dickes Fell zulegt. Und auch das ist kein Selbstläufer, sondern entsteht, wenn man von einer anderen Seite positive Rückmeldungen bekommt.

Mein persönliches Stolz-Fazit lautet also: Ja, ich habe ein paar Dinge trotz Behinderung erreicht und Schwierigkeiten bewältigt, aber auch immer wieder Unterstützung und Bestärkung bekommen. Dafür bin ich dankbar.

Über die Jahre habe ich mir auch ein robustes Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein angeeignet. Niemand hat das Recht sich über mich zu stellen, weil er oder sie schneller laufen oder weiter springen kann als ich. Aber ich bin mir dessen bewusst, dass es vielen anderen Behinderten nicht so geht. Manche reden ihre Einschränkungen klein und glauben, sie müssten überall mithalten. Es ist keine Schande, andere - auch Fremde - um Hilfe zu bitten. Das ist eine Erkenntnis, die auch ich mir erst erarbeiten musste.

Was hat es denn mit diesem Disability Pride Monat auf sich?

Capitol Crawl
Wie gesagt, geht er auf die USA zurück. Genauer: auf die dortige Behindertenbewegung. Damit wird die Verabschiedung des Americans with Disabilities Act (ADA) im Juli 1990 gefeiert, der wegweisende Verbesserungen für behinderte Menschen beinhaltet. Kurz nach dem Inkrafttreten des ADA gab es die erste Pride-Veranstaltung in Boston. 

Die Einführung des ADA ging nicht geräuschlos über die Bühne: Etwa 1.000 Demonstranten gingen am 12. März 1990 zum Kapitol, um dessen Verabschiedung zu fordern. Um ihrem Anliegen mehr Nachdruck zu verleihen, ließen 60 von ihnen ihre Gehhilfen und Rollstühle vor der Kapitoltreppe zurück und robbten die Stufen hinauf. Diese Aktion stand sinnbildlich für die schlechte Barrierefreiheit in den Vereinigten Staaten. Der "Capitol Crawl" ging in die amerikanische Geschichte der Behindertenbewegung ein.

Der Disability Pride Month ist in Deutschland nahezu unbekannt. Das liegt wahrscheinlich vor allem daran, dass es kaum Veranstaltungen gibt, in denen dieser Monat eine Rolle spielt - ganz im Gegensatz zum LGBT Pride Month im Juni, in dem es auch in Deutschland etliche Termine wie zum Beispiel Demonstrationen gibt. Nach meiner Wahrnehmung gehen die Informationen nicht über die Behinderten-Szene hinaus. Mir ist das unverständlich. Wäre das nicht ein Thema für die Landes- und den Bundesbeauftragten für Menschen mit Behinderung?

Das wünsche ich mir

Ich möchte, dass der Disability Pride Month mit derselben Selbstverständlichkeit begangen wird wie der Pride Month. 

Ich möchte, dass die Bedürfnisse der fast acht Millionen anerkannt schwerbehinderten Menschen in Deutschland stärker beachtet werden und sich die öffentliche Aufmerksamkeit nicht auf warme Worte und herzerwärmende Fotos beschränkt.

Ich möchte, dass der Blick auf behinderte Menschen ganzheitlich erfolgt und nicht ihre Defizite im Mittelpunkt stehen. Behinderte sind keine besseren Menschen, aber auch keine schlechteren.

Ich möchte, dass die Begegnungen zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen auf Augenhöhe stattfinden.

Ist das zu viel verlangt? Ich finde, nicht. Es ist überfällig.


Foto 1:  ACRM-Rehabilitation on VisualHunt

Foto 2: Capitol-Crawl.png (600×300) (lacounty.gov)



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