Was träumst du?

Kürzlich habe ich das gerade erschienene Buch
Erinnerungen - Mein Leben in der Politik des im Dezember 2023 verstorbenen Politikers Wolfgang Schäuble gelesen.

Die Jüngeren werden sich an Schäuble als einen Mann in einem Rollstuhl erinnern, dessen Miene in der Öffentlichkeit immer ein bisschen griesgrämig wirkte. Doch Schäuble war 48 Jahre alt, als sich sein Leben von einem Moment auf den nächsten änderte: Am 12. Oktober 1990 schoss ein psychisch kranker Attentäter drei Mal auf den Politiker. Zwei Schüsse trafen den damaligen Bundesinnenminister, den dritten, der für ihn wahrscheinlich tödlich gewesen wäre, fing sein Personenschützer mit seinem Körper ab.

Seit diesem Tag war Wolfgang Schäuble querschnittsgelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Der erste Schuss hatte seinen Kiefer in der rechten Gesichtshälfte zerstört, was sich auf Schäubles Mimik auswirkte.
In seinem Buch berichtet Schäuble von einem Gespräch mit dem früheren Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff (FDP; gest. 2009), der 1944 zum Kriegsdienst eingezogen worden war. 1945 wurde ihm im Alter von 19 Jahren bei einem Tieffliegerangriff sein linkes Bein zerschossen, der Unterschenkel musste amputiert werden. Seitdem trug er (angeblich) ein Holzbein.

Die beiden Männer waren also nicht ihr Leben lang schwerbehindert gewesen, sondern wussten, wie es sich anfühlt, auf zwei gesunden Beinen zu gehen. In einem Gespräch, so erzählt es Wolfgang Schäuble in seinem Buch, hatte ihn Lambsdorff gefragt, "ob ich im Traum eigentlich aufrecht gehen würde oder im Rollstuhl säße." Schäuble antwortete, in seinen Träumen Fußgänger zu sein, was Lambsdorff für sich bestätigte, obwohl seine Amputation doch schon Jahrzehnte zurücklag und er nur einen relativ kleinen Teil seines Lebens nicht gehbehindert gewesen war.

Ich habe keine Ahnung, was sich da im Schlaf im Gehirn abspielt, aber ich kann über mich sagen, dass ich mich im Traum nicht als Drei- sondern Zweibeinige sehe. Und das, obwohl ich schon seit mehr als zehn Jahren mit einer Gehhilfe unterwegs bin. Doch es wird noch wilder: In den Träumen, an die ich mich nach dem Aufwachen noch erinnern kann, gehe ich so normal wie alle anderen Menschen um mich herum - obwohl ich das niemals getan habe! Mein Gangbild war immer schlecht, die Behinderung besteht seit meiner Geburt. Gaukelt das träumende Hirn das vor, was man gern hätte, obwohl man es gar nicht kennt? Ziemlich kurios.

Wer hat ähnliche Erfahrungen gemacht?


Quelle Foto: Klicker / pixelio.de

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