Lüge des Tages: "Ich komme schon klar!"

Ich höre das immer wieder: Menschen mit
Behinderungen wollen anderen nicht zur Last fallen oder ihnen nicht den Spaß an etwas verderben - und schweigen. Sie schweigen, wenn ihnen ein Weg zu weit ist, Stufen zu beschwerlich sind oder etwas anderes zu anstrengend ist. Sie schweigen, obwohl sie am Ende ihrer Kräfte sind und den letzten Rest an Elan, den sie noch haben, mobilisieren, um doch noch ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

Und dann ist der Moment da, an dem nichts mehr geht. Der überforderte Mensch braucht jetzt gleich und sofort einen Sitzplatz, ist von Schmerzen überwältigt oder hat andere Ausfallerscheinungen.

Diejenigen, die bei ihm sind, werden davon oft überrumpelt. Ging es ihm oder ihr bis vor einer Minute nicht noch gut? Woher kommt der plötzliche Zusammenbruch? Ratlosigkeit und Überforderung bei den Begleiterinnen oder Begleitern sind dann oft normal. Viele Menschen mit einer Beeinträchtigung sind gut darin, ihrer Umwelt lange vorzuspielen, es gehe ihnen prächtig. Ich habe das vor vielen Jahren auch so gemacht. Leider.

Aber ernsthaft: Warum tut man sich das an? Niemand muss sich wegen seiner Behinderung schämen oder sich ihretwegen verstellen. Ständig Stärke vorzutäuschen bindet Ressourcen, die gebraucht werden, um im Alltag zurechtzukommen. Und auch, wenn das nicht jeder behinderte Mensch gerne hören oder lesen will: Diese Form der "Tapferkeit" ist nicht nur problematisch für ihn selbst, sondern auch schwierig für die Begleitpersonen. Würde man ihnen früh genug signalisieren, dass man mit seinen Kräften bald am Ende ist und Unterstützung benötigt, hätten sie noch ausreichend Zeit, eine Lösung zu organisieren. Doch bei einem plötzlichen Kümmer-Bedarf sind sie unvorhergesehen enorm gefordert. Innerhalb kurzer Zeit muss der beeinträchtigten Person geholfen werden: Gibt es in der unmittelbaren Umgebung eine barrierefreie Toilette? Wo findet sich eine geeignete Sitzgelegenheit? Wird vielleicht sogar ein Arzt benötigt?

Menschen, die eine behinderte Person begleiten, sind oft unsicher, ob und wobei diese Hilfe braucht. Aus eigenem Erleben weiß ich, dass dann bei jeder Unebenheit gefragt wird, ob man Unterstützung benötige und Dinge erledigt werden, zu denen ich selbst in der Lage bin.
Natürlich weiß ich, dass hinter dieser Fürsorglichkeit der Wunsch steht, alles richtig zu machen, wirklich eine Hilfe zu sein und nichts zu übersehen. Nennt mich undankbar, aber diese permanente Fragerei und Hilfestellung geht mir auf die Nerven. Wenn ich also auf Menschen treffe, die meine behinderungsbedingten Bedürfnisse nicht gut kennen, stelle ich gleich klar, dass ich ihnen sage, wenn ich Unterstützung brauche.
Wenn ich allein unterwegs bin, spreche ich auch fremde Menschen an. Kommunikation ist das A und O, in beide Richtungen.
Durch diese Klarstellung wird meine Begleitung entlastet, ich aber auch. Eine Win-win-Situation, wie das heute gern genannt wird.

Also: Wie praktisch immer im Leben führt kein Weg daran vorbei, miteinander zu reden. Um Missverständnisse zu vermeiden: selbstverständlich nur, wenn das mit der individuellen Behinderung möglich ist.


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