Werden wir uns wiedererkennen?

Ich war in dieser Woche in einer Podologiepraxis. Die Podologin und ich kennen uns schon mehrere Jahre. Kurz bevor meine Behandlung begann, bimmelte die Türglocke. Die Podologin guckte kurz um die Ecke und bat den Herrn, der gerade gekommen war, kurz in der Sitzecke zu warten.

Als sie mir dann gegenüber saß, sagte sie nachdenklich: "Den Patienten, mit dem ich gerade gesprochen habe, kenne ich nur mit Maske. Das trifft auf mehrere andere Patienten ebenfalls zu, die während der Corona-Zeit neu zu mir gekommen sind. Ich frage mich, ob ich alle sofort wiedererkenne, wenn es keine Maskenpflicht mehr gibt." Sie hatte etwas Sorge, bei manchen ins Fettnäpfchen zu treten, wenn sie nicht sofort wüsste, wen sie da vor sich hat, oder sogar einen falschen Namen zu benutzen. 

"Wissen Sie", fuhr sie fort, "man sieht wegen der Maske auch oft nicht, ob die Menschen lächeln oder nicht. Das fühlt sich ganz schön seltsam an." Ich nickte und sagte: "Bei denen, die aus einem Gefühl heraus lächeln, lächeln die Augen mit. Wenn Sie an den Augen nichts erkennen, ist da auch keine positive Gefühlsregung." 

Ich musste an eine Situation denken, die schon eine Ewigkeit zurückliegt. Ich war noch keine 20, als ich in einem Krankenhaus war und ein Arzt entschieden hatte, dass an mir ein bestimmter Eingriff durchgeführt werde sollte. Ich wurde in den OP gebracht und musste während der Zeit des Eingriffs auf dem OP-Tisch sitzen. Das, was da gemacht wurde, war gelinde gesagt ziemlich unangenehm. Während der ganzen Zeit hielt mir ein junger OP-Pfleger die Hand und beruhigte mich mit seiner ruhigen und sanften Stimme. Wäre die Situation nicht so unangenehm gewesen, wäre ich vermutlich dahingeschmolzen. Da der Pfleger OP-Kleidung trug, konnte ich von seinem Gesicht nur die Augen erkennen. Sie waren dunkelbraun und wirkten warm. Es waren wirklich sehr schöne Augen.

Als der Eingriff vorbei war, verabschiedete sich der Pfleger von mir und wünschte mir alles Gute. Ich war schlicht begeistert und habe mich natürlich gefragt, wie er wohl aussehen mochte.

Die nächsten drei Wochen durfte ich nicht laufen. Aber als ich dann zum ersten Mal mein Zimmer auf Gehhilfen verlassen habe, kam ich am Fahrstuhl vorbei. In diesem Augenblick öffneten sich die Fahrstuhltüren und ein junger Mann in Jeans und Lederjacke kam heraus. Er sah mich, lächelte und sagte: "Na, wie geht's dir denn jetzt?" Ich habe bestimmt einige Sekunden gebraucht, um zu realisieren, dass das "Er" war: der OP-Pfleger mit den schönen Augen. Jetzt sah ich ihn ohne OP-Kleidung und war - tja, wie soll man es nennen? - etwas desillusioniert. Ich hatte mir von seinem Gesicht unterhalb der Augen eine ganz andere Vorstellung gemacht (irgendwie "Spanisch" wahrscheinlich), die mit der Realität rein gar nichts zu tun hatte.

Es mag oberflächlich gewesen sein (ich war ja noch jung), aber sollten da bei mir irgendwelche Gefühle für den Pfleger gewesen sein, waren sie ab da erloschen. Ich habe ihn danach nicht mehr wiedergesehen.

Jetzt bin ich gespannt, wie es sein wird, wenn die Maskenpflicht Geschichte ist: Wird es Menschen geben, die uns plötzlich fremd vorkommen, weil wir sie während der Pandemie kennengelernt haben und sie nur mit Mundschutz kennen? Im Geiste sehe ich mich, wie ich das erste Fettnäpfchen vor mir aufstelle.


Foto: Foto von Anna Shvets von Pexels

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