Narben erzählen Geschichten aus dem Leben

Vor einigen Tagen war es drei Jahre her, dass die erfolgreiche Bahnradfahrerin Kristina Vogel während des Trainings so schwer verunglückte, dass sie eine Querschnittslähmung davontrug. Sie wird den Rest ihres Lebens Rollstuhlfahrerin sein, hat sich davon jedoch nicht unterkriegen lassen.

Anlässlich dieses "Jubiläums" hat sie bei Instagram, dem Netzwerk mit den vielen Menschen, die sich dort nur "optimiert" vor die Kamera trauen, einen besonderen Beitrag gezeigt. Auf mehreren Fotos ist deutlich zu sehen, wo ihr Körper infolge des Unfalls Narben davongetragen hat: am Rücken, am Rumpf, an einer Schulter, am Dekolleté, am Hals und im Gesicht.

Ihre Botschaft: Diese Narben gehören zu mir und zeigen einen Teil meines Lebens. Das ist eine Haltung, die man nicht von heute auf morgen entwickelt, sondern sich aneignen muss.

Je älter man wird, umso mehr hat man erlebt. Viele Menschen tragen Zeichen, die ihnen Ereignisse in ihrem Leben zugefügt haben, mit sich herum. Manche sind auf den ersten Blick sichtbar, andere sind die meiste Zeit unter Kleidungsstücken verborgen.

Dass sich Kristina Vogel so freizügig gezeigt hat, empfinde ich als starkes Zeichen. Den Mut, das zu tun, dürften viele Menschen nicht haben, erst recht nicht bekanntere Persönlichkeiten. Spuren meiner eigenen Lebensgeschichte trage auch ich mit mir herum. Die meisten stammen aus Krankenhäusern und aus einer Zeit, in der es Chirurgen unnötig fanden, sich beim Schließen einer Wunde größere Mühe zu geben. Wir sind hier doch nicht beim Schneider, nicht wahr?

Andere Narben sind zwar auch in Kliniken gemacht worden, markieren jedoch Ereignisse, die mit meiner Behinderung nichts oder nicht direkt etwas zu tun haben: Geburten, eine ambulante Hand-OP, eine Narbe von einem Fahrradunfall, den ich mit 16 auf dem Weg von der Schule nach Hause hatte. Zu den sichtbaren Narben gehört eine, die ausgerechnet im Gesicht ist: Als kleines Mädchen bin ich mit dem Dreirad mit Karacho gegen einen Baum gefahren und habe mit der Stirn gebremst. Die Rufe meiner Mutter - "Pass auf, guck nach vorn!" - hatte ich nicht verstanden, sondern mich nach ihr umgedreht: "Was?" Bumm!

Mir ist als Jugendliche schwer gefallen, mit den Narben umzugehen, die ich am schlimmsten fand. Ich habe mir damals eingebildet, dass im Schwimmbad jeder darauf starren würde. Schon seit vielen Jahren ist mir das jedoch wurscht. Glücklicherweise. Denn wenn man sich und seine "Lebenszeichnungen" nicht als Teil von sich selbst akzeptieren kann, hat man ein Problem.

Darum gilt: Wer makellos durchs Leben geht, ist entweder jung, war beim Schönheitschirurgen oder hat nichts erlebt. 😉

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