12 Tote

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Sinzig - bis vor wenigen Tagen hatte ich von dieser
Stadt noch nie gehört. Doch dann kam das Hochwasser, von dem wir jetzt ahnen, dass ein besser funktionierendes Warnsystem Menschenleben hätte retten können.

Hätte. Seit gestern weiß man, dass in Deutschland mindestens 164 Menschen gestorben sind. Darunter auch zwölf, die in einem Behindertenwohnheim der Lebenshilfe in Sinzig gelebt haben. Von 36 Bewohnerinnen und Bewohnern haben 24 das Unglück überlebt. Die Nachtwache hat es noch geschafft, einige der behinderten Menschen vom Erdgeschoss in die erste Etage zu bringen. Aber das Wasser hat das Gebäude in minutenschnelle bis zu einer Höhe von drei Metern geflutet, sodass die Rettung der übrigen Behinderten unmöglich war.

In dem Wohnheim leben Erwachsene mit geistigen Behinderungen. Nachts ist dort nur eine Nachtwache. Kann man sich vorstellen, was dort passiert ist? Viele Menschen mit geistigen Behinderungen brauchen Ordnung in ihrem Leben: Das geht von festen Essenszeiten bis zu Terminen, die außerhalb des Wohnheims stattfinden - Sportgruppen oder Spielerunden zum Beispiel. Abweichungen von der gewohnten Ordnung lösen Irritation, vielleicht sogar Protest aus. Das wissen Menschen, die jeden Tag mit diesen Behinderten zu tun haben. Man kann nur erahnen, was sich abgespielt haben mag, als die Nachtwache versucht hat, möglichst viele der Bewohnerinnen und Bewohner mitten in der Nacht wach zu bekommen und ihnen klar zu machen, dass sie so schnell wie möglich ihre Zimmer verlassen und in die erste Etage gehen müssen. Auch Menschen ohne geistige Beeinträchtigung brauchen, wenn sie aus dem Schlaf gerissen werden, einen Moment, um zu realisieren, wo sie sind und warum sie geweckt werden.

Und dann ist da nur eine einzige Person, die in dieser Ausnahmesituation eine tonnenschwere Verantwortung trägt. Warum ist sie allein? Warum gibt es keine zweite Nachtwache, damit sich zwei Personen um die behinderten Menschen kümmern können, wenn beispielsweise ein medizinischer Notfall eintritt, der eine Nachtwache dazu zwingt, sich ausschließlich um einen behinderten Menschen zu kümmern und ihn möglicherweise auch ins Krankenhaus zu begleiten?
Die Antwort darauf ist so traurig wie banal: Es geht ums Geld. Zwei Nachtwachen wären zu teuer, um auf einen (glücklicherweise) seltenen Notfall vorbereitet zu sein.

Die schwache Besetzung im Sinziger Wohnheim ist keine Ausnahme. Seit Jahren gibt es zwischen Heimbetreibern und Bundesländern immer wieder Diskussionen über den Personalschlüssel in Wohnheimen. So mancher Landesrahmenvertrag ist bereits seit Jahrzehnten in Kraft.
Kürzlich traf ich eine Bekannte, deren erwachsener Sohn Autist ist und in einer Einrichtung der Lebenshilfe in Hannover wohnt. Dort ist von abends um 22 Uhr bis morgens um 8 Uhr keine Nachtwache, weil die Bewohnerinnen und Bewohner doch alle so eigenständig sind und man ihnen gesagt hat, wie sie sich im Ernstfall verhalten sollen. In wessen Ohren klingt das beruhigend?

Und dann ist da noch die Nachtwache in Sinzig. Rational betrachtet hat sie getan, was getan werden muss. Es war großartig, dass durch ihr Eingreifen überhaupt Menschen gerettet wurden. 
Aber Menschen sind eben auch emotional. Wird sich jemand um die Nachtwache kümmern und ihr dabei helfen, mit den schrecklichen Bildern und dem eventuellen Vorwurf an sich selbst, nicht gut genug gewesen zu sein, fertig zu werden? Wird es ihr gelingen, ihren Beruf weiter auszuüben?

Das, was im Sinziger Heim passiert ist, kann jederzeit so oder so ähnlich woanders passieren. Die meisten Nächte dürften langweilig und ohne besondere Vorkommnisse verlaufen, aber dann ist da diese eine, in der es darauf ankommt. Solange das Geld die oberste Richtschnur für die Personalausstattung ist, wird sich an diesen Zuständen nichts ändern. 


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