Werbung - ein Spiegel unserer Zeit? Wie ich mit fragwürdigen Clips zugemüllt wurde

Ich wollte während meines morgendlichen Trips
auf 
dem Ergometer wieder mal ein Video auf dieser Plattform mit dem weißen Dreieck auf rotem Grund ansehen. Diesmal sollte es eine Aufzeichnung aus dem Tränenpalast in Berlin sein. Ein bekannter Politiker der Linken setzt sich dort mit wechselnden Gästen auf die Bühne und hält mit ihnen einen sehr unterhaltsamen Smalltalk. In dieser Folge hatte der Politiker einen Niedersachsen eingeladen, der mit Drogerieartikeln schwerreich geworden ist. Der Niedersachse hat freimütig erzählt, wie er diesen Erfolg geschafft und dass er vor Jahren wirtschaftlich am Abgrund gestanden hat und um ein Haar pleite gewesen wäre.

Während der Zeitspanne, die ich vor mich hin "fahre", habe ich von der Aufzeichnung jedoch viel weniger gesehen, als ich es mir vorgenommen hatte. Nach ein paar Minuten wurde nämlich ein Werbeblock gestartet. Man kennt das ja schon zur Genüge aus dem Fernsehen: Diese Unterbrechungen dauern lange genug, um sich ein Getränk zu holen oder mal eben zur Toilette zu gehen. 

Bei der Videoplattform erscheint bei längeren Werbeclips ein Button, mit dem man die Werbung stoppen und das ausgewählte Video weiter ansehen kann. Das war hier nicht anders. Mein Problem: Der Abstand zwischen Ergometer und Laptop war zu groß, als dass ich die Tastatur hätte erreichen können. Die "Fahrt" deswegen zu unterbrechen kam für mich nicht infrage. Also weiter radeln. Das weiß doch jeder, dass auch die nervigste Werbung nach ein paar Minuten vorbei ist. 

Doch das Werbevideo lief und lief und lief... Zu sehen war ein Herr im Rentenalter, der in einem Wohnzimmer vor der Kamera saß. Er sprach Englisch, aber was er sagte, wurde mit deutschen Untertiteln eingeblendet. Seinen Namen hatte ich noch nie gehört, also musste eine Suchmaschine bemüht werden: Es handelte sich um einen Juristen und Investmentbanker, der in den USA ziemlich bekannt ist. Seine Bücher schaffen es in die Bestsellerliste der New York Times. Der Mann redete wie ein Wasserfall und blickte mit unheilschwangerem Blick auf seine Zuschauer.

Seine Botschaft: Wegen der aktuellen Pandemie wird unsere jetzige Wirtschaftsordnung zusammenbrechen wie ein Kartenhaus bei Windstärke 8. Spätestens jetzt lohnte sich ein Blick auf seine Literaturliste: Durch die Bank hat der Mann seit etlichen Jahren über Untergangsszenarien geschrieben und für den Normalbürger Finanzstrategien empfohlen, die einen ziemlich nachdenklich werden lassen. Ein Mix aus Immobilien, Staatsanleihen, Gold, Silber, Hedgefonds und Kunstfonds. Nicht zu vergessen: 30 Prozent des Vermögens sollte in Geldscheinen vorgehalten werden. Wo man diese Geldstapel diebstahl- und katastrophensicher unterbringen sollte, hat der Gute leider verschwiegen. Vielleicht stellt er ja seinen Garten hinterm Haus zur Verfügung, wo dann jeder sein Schatzkästchen vergraben kann. Man weiß es nicht.

Das Werbevideo lief während fast meiner ganzen Ergometerzeit. So etwas habe ich bisher noch nie erlebt. Doch die Überraschung kam, als ich diesen Monolog nach geschlagenen 30 Minuten wegklickte: Nahtlos schloss sich die nächste Werbung an. Nun hielt ein ehemaliger Nationalfußballer sein Smartphone hoch und pries eine sog. Social-Trading-Plattform an, in der man Devisen, Kryptowährungen und Aktien handeln kann. Weg damit.

Und schon kam die nächste Werbung. Diesmal eine Trading-Plattform, bei der es um Prop-Trading geht. Keine Ahnung, was das ist? Hatte ich auch nicht. Im Imagefilm kommt ein halbes Dutzend Männer zu Wort, die mit wichtigen Mienen von ihren Erfolgen erzählen. Frauen haben von so etwas sowieso keine Ahnung, das weiß jedes Kind. Und es geht um eine Ausbildung, für die man bezahlen soll. Klick und weg damit.

Es war wie verhext. Die Videoplattform schien zu glauben, dass ich dringend Nachhilfe zum Thema Geld und Geldvermehrung brauche, denn anstelle des Live-Mitschnitts aus Berlin kam die nächste Werbung: eine Seite, die ihren Besuchern beibringen will, wie man sein Vermögen mithilfe von Immobilienkäufen aufbaut. Das ist für den Durchschnittsbürger angesichts von Immobilienpreisen, die sich in Großstädten längst jenseits von Gut und Böse befinden, der Tipp der Woche. Ach was, des Jahres. Wenn man sich die Homepage anschaut, sieht man nur erfolgreiche Männer von Mitte 30, die den Immo-Markt längst gerockt haben. 

An der Stelle habe ich das Browserfenster geschlossen. Ich frage mich, ob dem Linken-Politiker bewusst ist, dass seine Bühnenaufzeichnungen von solchen maximal semi-seriösen Clips so massiv unterbrochen werden. Vielleicht sollte man ihm mal einen Hinweis geben. Ich werde morgen auf jeden Fall einen neuen Anlauf starten, mir das Interview des Drogerie-Milliardärs zu Ende anzusehen. Dann wird mein Laptop allerdings in Reichweite zu meinem Ergometer stehen, sonst wird das ja nie etwas.

Kommentare

  1. Solche Werbung bewirkt bei mir das Gegenteil von dem, was von den Unternehmen erwartet wird. Ich bekomme eine Abneigung gegen das Produkt und ignoriere es. Meinen bisher beliebten Streaming-Dienst rufe ich deswegen schon nicht mehr auf und lese lieber ein Buch, anstatt mich von Werbung vollquasseln zu lassen.
    Manche Werbespots kommen drei- oder viermal hintereinander in einer viel höheren Lautstärke als der Film oder die Doku. Das muss sich niemand antun, ein Klick auf die Fernbedienung und Ruhe ist.
    Ärgerliche Grüße von der Pfälzerin

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Die unterschiedliche Lautstärke der Fernsehspots hat angeblich technische Gründe und soll nicht dazu dienen, die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu erhöhen. Ich habe da meine Zweifel, lasse das aber mal so stehen.
      Bei der Videoplattform könnte ich natürlich ein bezahltes Abo schalten und wäre dann alle Werbeeinblendungen los, aber um dafür Geld auszugeben, ist sie mir nicht wichtig genug.
      Mich hat vor allem gewundert, dass offenbar nicht gecheckt wird, ob die Werbung auch nur annähernd zum gezeigten Video passt und dass immerhin vier Mal hintereinander zum selben Thema - Geld - geworben wird. Über die Seriosität der werbenden Firmen schweige ich mich an dieser Stelle lieber aus.
      Winterliche Grüße von der Niedersächsin an die Pfälzerin

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Und hier ist Platz für deinen Kommentar: