Informeller Einheitsbrei

Wir waren über Silvester an der Ostsee. Unser Hotel ist in einem Ort an der Lübecker Bucht, direkt an der Promenade. Wenn man im Hotelrestaurant sitzt, schaut man direkt aufs Wasser. Sehr schön.

Schön ist auch, dass dort morgens zum Frühstück auf jedem Tisch eine aktuelle Tageszeitung liegt. In diesem Fall die 'Lübecker Nachrichten'. 

Ich bin schon aus meiner Kindheit gewohnt, dass Zeitung gelesen wird. Meine Eltern hatten die Tageszeitung jahrzehntelang abonniert. Ich selbst auch, seitdem ich damals ausgezogen bin.

Deshalb weiß ich den Service des Hotels zu schätzen, den Gästen jeden Tag eine Zeitung anzubieten. Was mir allerdings schon vor einer Weile aufgefallen ist, ist der zum Teil identische Inhalt meiner Heimat-Tageszeitung und der 'Lübecker Nachrichten': Viele Artikel über Auslandsthemen sind - einschließlich der Fotos - völlig gleich, ebenso politische Cartoons, Kolumnen und die Wochenendbeilage. Der Unterschied zwischen den beiden Zeitungen besteht im Wesentlichen in den Lokalnachrichten.

Diese auffällige inhaltliche Übereinstimmung ist kein Zufall: Sowohl die 'Lübecker Nachrichten' als auch die 'Hannoversche Allgemeine Zeitung' sind Teil des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) - genau wie weitere 49 Tageszeitungen mit insgesamt ca. sieben Millionen Leserinnen und Lesern. Und das schon seit 2013.

Ich verstehe die Absicht dahinter: Was ein Journalist einmal recherchiert und formuliert hat, lässt sich kostengünstig mehrmals weiterverwerten. Das ist gut für die Finanzen von Zeitungsverlagen, in diesem Fall namentlich des Madsack Verlags. 

Allerdings geht das zulasten der Vielfalt: Es ist menschlich und grundsätzlich nicht vorwerfbar, dass sich Redakteure einem Thema aus ihrer persönlichen Perspektive nähern und einen bestimmten Schwerpunkt setzen. Einige Fakten werden dann genauer betrachtet, andere fallen womöglich ganz unter den Tisch. Journalistische Vielfalt stelle ich mir anders vor.

Als Zeitungen noch reine Print-Medien waren, ist das kein größeres Problem gewesen: Wer eine Tageszeitung las, las in der Regel die aus der eigenen Region und informierte sich dort. Warum sollte sich ein Hannoveraner regelmäßig eine Zeitung aus Lübeck kaufen? Das ist heute anders: Im Internet werden sehr viele Zeitungsartikel auch ohne Bezahlung zur Verfügung gestellt. Im ungünstigen Fall findet man mehrere Texte zum selben Thema, die einander bis auf den letzten Punkt gleichen.

Ja, das wurde auch schon vor der Gründung des RND gemacht: Freie Journalisten verkaufen ihre Texte mehrmals, wenn sie für sie keinen Exklusivvertrag abgeschlossen haben. Davon bekommen die Leser nichts mit. Auch hier ist so ein Vorgehen ökonomisch gesehen verständlich, aber aus Sicht der Leserschaft nicht erfreulich.

Mein Klassenlehrer aus der Mittelstufe hat uns damals in den 1980-er Jahren gesagt, dass wir uns nur eine Meinung bilden können, wenn wir mehrere Zeitungen lesen. Das könnte heute zu wenig sein, lieber Herr N.

Kommentare

  1. Mir ist auch schon aufgefallen, dass in unseren beiden regionalen Zeitungen fast immer das gleiche steht. Mir kommt es vor, als würde derselbe Reporter für beide Blätter recherchieren.
    Verwunderte Grüße von Ingrid, der Pfälzerin

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Ingrid, das passiert alles im Sinne der größtmöglichen Effektivität. ;-)
      Liebe Grüße von der Niedersächsin

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Und hier ist Platz für deinen Kommentar: