Die Welt ist ein einziges Katastrophenszenario - nicht.


Wenn mir im Alltag etwas auffällt, von dem ich
glaube, dass es noch mehr Menschen außer mir interessieren könnte, notiere ich es mir. Dass ich mir das heutige Thema notiert habe, ist genau ein Jahr her. Immer hatte sich etwas anderes nach vorn geschoben, sodass ich es fast aus dem Blick verloren hätte. Vieles von dem, was man nach so einer Zeitspanne wieder hervorkramt, hat sich von selbst erledigt. Das Aufbauen von Katastrophenszenarien leider nicht. 

Absicht oder Schisshasigkeit? Was das Dauerfeuer mit Krisennachrichten mit Menschen macht

Ich behaupte, dass praktisch jeder eine erhöhte Aufmerksamkeit bei schlechten Nachrichten hat. Davon werden uns schließlich Tag für Tag genügend um die Ohren gehauen. Entscheidend ist allerdings, wie man damit umgeht.

Kürzlich habe ich mit einer Verwandten telefoniert, die "eigentlich" zum Realismus neigt. Nach ein paar Minuten sagte sie seufzend: "Ach, wir leben aber auch in einer schrecklich unsicheren Zeit..."

"Waren die Zeiten jemals sicherer?", habe ich sie gefragt. Ihr nachdenkliches Stirnrunzeln konnte man fast durchs Telefon hören. 
"Findest du das nicht schlimm, was da gerade passiert mit Trump und dem Iran?"
Doch, natürlich finde ich das schlimm und auch noch einiges andere. Aber Krisen hat es schon immer gegeben, und auch nach dem Ende des 2. Weltkriegs gab es Situationen, die die Menschen quer durch viele Staaten an der geistigen Leistungsfähigkeit ihrer Regierung haben zweifeln lassen.

"Was ist mit dem Kalten Krieg?", fragte ich meine Verwandte. "Das waren über 45 Jahre Dauerbedrohung." Die Kuba-Krise war der traurige Höhepunkt: Die Welt schrammte damals haarscharf an einem atomaren Krieg vorbei. Ost und West hatten sich gegeneinander positioniert, die Nachrichten auf beiden Seiten hatten den jeweiligen Bösen klar ausgemacht. Heute ist dagegen nicht immer deutlich, wer wessen Verbündeter ist - oder eben nicht. Trägt das zur Verunsicherung bei?

In die Phase des Kalten Krieges fielen auch der Vietnamkrieg mit bis zu fünf Millionen Toten sowie der Koreakrieg mit bis zu 3,5 Millionen getöteten Menschen. Das sind nur zwei Beispiele für verheerende Ereignisse aus der Vergangenheit.

Warum sind so viele bereit, das Gute zu ignorieren?

Dazu gibt es verschiedene Annahmen. Vermutlich stimmt jede von ihnen ein Stück weit.
Da ist einerseits das Verhalten, das uns genetisch vorgegeben ist: Man muss sich vor drohenden Gefahren hüten und ihre Entwicklung im Auge behalten. Tut man das nicht, kann der eigene Untergang die Folge sein. Das ist damals, als es noch um die tägliche Jagd ging und man sich vor dem Säbelzahntiger fürchten musste, nötig gewesen. In der heutigen komplexen Welt ist das allerdings zu einseitig.

Eine andere Erklärung für den anhaltenden Alltagspessimismus ist das Verhalten der Informationsmedien. Sie sind auf viele Leser oder Zugriffe angewiesen, weil davon die Höhe ihrer Werbeeinnahmen abhängt. In dem Wissen, dass sich Katastrophen besser verkaufen lassen, kommen diese überproportional oft in den Meldungen vor. So entsteht bei den Nutzern der Eindruck, dass "alles schlecht" ist.

Eine dritte Theorie wurde von dem schwedischen Medizinprofessor Hans Rosling entwickelt. Er vermutete, dass Menschen dann, wenn sie etwas nicht wissen, von der schlechtesten Möglichkeit ausgehen. Er schätzte den Menschen in dieser Hinsicht dümmer als den Schimpansen ein.
Beispiel 'globale Armut': Innerhalb der letzten 20 Jahre hat sich der Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen mehr als halbiert. Innerhalb der letzten 200 Jahre hat sich ihr Anteil von 90 auf 10 % der Weltbevölkerung verringert. Die meisten befragten Menschen glaubten allerdings, dass die weltweite Armut eher zu- als abgenommen hat. 
Mit seinem Buch "Factfulness" wollte er mit Fakten gegen dieses irreführende Bauchgefühl angehen.

Eine Forschergruppe versucht auf der Seite Our World in Data das Denken über das diffuse Meinen und Glauben siegen zu lassen. Dort finden sich graphisch aufbereitete Daten zu den wichtigsten Problemfeldern der Welt. Beispiele: Zwischen 1990 und 2017 fiel die Zahl der verstorbenen unter fünf Jahre alten Kinder in Afrika von 4,2 auf 2,9 Millionen, in Asien von 7,5 auf 2,2 Millionen. So furchtbar jeder einzelne Tod ist, so bemerkenswert ist die Reduzierung. Thematisiert wird das allerdings fast nirgends.

Eine andere Studie, deren Ergebnisse hier ebenfalls aufbereitet wurden, arbeitete mit Daten, die 2016 in den USA erhoben und 2018 veröffentlicht wurden. Die Fragestellungen: Woran starben US-Amerikaner? Nach welchen Todesursachen suchten sie bei Google? Über welche Todesursachen berichteten die New York Times und The Guardian? Die drei Todesursachen, woran die meisten US-Amerikaner starben, waren Herzerkrankungen (30,2 %), Krebs (29,5 %) und Unfälle (7,6 %). Die Top 3, über die sie sich Gedanken machten, waren Krebs (37 %), Selbstmord (12,4 %) und Unfälle (10,7 %). Die beiden auflagenstarken Zeitungen berichteten vor allem über Terrorismus (35,6 % bzw. 33,3 %), Mord (22,8 % bzw. 23,3 %) und Krebs (13,5 % bzw. 12,7 %). Terrorismus wurde allerdings unter den tatsächlichen Todesarten nicht aufgeführt, aber etwas mehr als 7 % der Suchanfragen beschäftigten sich damit. 

Fakten vor Bauchgefühl

Ich wünsche mir, dass bei der Beurteilung von vermeintlichen oder echten Problemen (wieder) dazu übergegangen wird, sich auf der Grundlage von Tatsachen ein Urteil zu bilden. Niemand ist vor Irrtümern geschützt, aber eine Aussage wird nicht deshalb wahrer, weil man sie oft und laut herausposaunt. Sehr häufig ist es so, dass man an einer Aussage umso mehr zweifeln sollte, je plakativer sie ist.

Ich wünsche mir auch eine objektivere Darstellung durch die Medien, aber ich befürchte, darauf kann ich lange warten.

Auch in zwei anderen Blogs habe ich mir zu diesem Thema Gedanken gemacht, und zwar in meiner Bücherkiste und bei gesellschaftskritik.com.





Kommentare

  1. Die Daten über den Rückgang der globalen Armut haben mich irritiert, so dass ich gegoogelt haben. Aber es stimmt. Du und der Autor haben Recht.
    Eigentlich sollten wir nun global glücklicher sein, oder?
    LG
    Sabienes

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    1. Wir sollten vor allem realistisch auf unsere Welt sehen. Damit wäre schon viel gewonnen.
      LG
      Ina

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