Über 50? Hier entlang!


Frauen, die mindestens 50, aber höchstens 69 Jahre alt sind, bekommen alle zwei Jahre Post. In einem dicken Umschlag finden sich neben einigen Infoseiten ein Anamnesebogen und ein Protokollvordruck für das Aufklärungsgespräch.

Es geht hier um das Mammographie-Screening-Programm. Dabei wird jede Brustseite geröntgt, um so Hinweise auf eine Brustkrebserkrankung zu finden. Die Teilnahme ist freiwillig und wird von allen Krankenkassen bezahlt.

Ich war kürzlich bei einer solchen Untersuchung, schon zum zweiten Mal. Sie wird nicht von irgendeiner radiologischen Praxis, sondern von einer Schwerpunktpraxis durchgeführt. Alle für die Untersuchung infrage kommenden Frauen in einem bestimmten Einzugsgebiet werden angeschrieben und pilgern dann dorthin. Oder auch nicht.

In so einer Schwerpunktpraxis wird den ganzen Tag nichts anderes gemacht, als die (hoffentlich vollständig ausgefüllten) Anamnesebögen entgegenzunehmen, eventuell ein Aufklärungsgespräch zu führen und die Brüste der Frauen in das spezielle Röntgengerät zu quetschen.

Ich habe die Wartezeit auf einem Stuhl in der Nähe des Empfangstresens verbracht. Dort hat man den besten Blick auf das Geschehen. 

Die meisten Frauen kamen allein. Obwohl ich es anders erwartet hatte, wurden vor allem deutsche Frauen von ihren Männern begleitet. Muslimische Frauen in Begleitung waren die Ausnahme. Ich merke, dass ich ein bisschen an meinem Weltbild arbeiten muss.

Ein deutsches Paar betrat die Praxis. Während sie sich am Empfang anmeldete und ihre Unterlagen abgab, ging er ein paar Schritte an seiner Frau vorbei und ließ seinen Blick über die Wartebereiche schweifen. "Huch", schien seine Miene zu sagen, "das sind ja richtig viele Frauen hier!" Ja, Überraschung.

Die Arzthelferinnen, an die man sich zuerst wenden musste, sagten bei jeder neu eintretenden Frau immer denselben Satz auf: "Haben Sie Ihren Einladungsbrief dabei?" Auch der weitere Dialog verlief nach Schema F. Ich bekam Mitleid mit ihnen: Sieht so die Arbeitshölle aus? Ich hoffe, dass jede Mitarbeiterin reihum mal da vorn sitzen muss.

Die Röntgenassistentin erinnerte sich noch vom letzten Termin an mich. Nicht, weil ich so eine strahlende Schönheit oder der Inbegriff der Nettigkeit wäre. Bin ich beides nicht. Sie erinnerte sich daran, dass sie bei mir anders vorgehen muss. Mehr im Sitzen, weil das Stehen in der unbequemen Position kein Hauptgewinn ist. Fand ich wirklich gut.

Ich habe sie gefragt, ob es auf Dauer nicht etwas ermüdend ist, jahrein jahraus von morgens bis abends mit Frauenbrüsten zu hantieren und die in eine für das Röntgengerät geeignete Form zu bringen. Ihre Antwort: Nein, sie mache das gern, denn jede Frau und jede Brust sei immer wieder anders. Ich bin nicht sicher, ob sie meinen zweifelnden Blick gesehen hat. Berufliche Erfüllung durch Mamma-Durchleuchtung?

Wir waren schon fast fertig, als ich die freundliche Mitarbeiterin fragte, warum die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen auf zehn begrenzt sei und das Programm mit dem 69. Lebensjahr endete. Die Krankenkassen, antwortete sie, hätten festgestellt, dass das Risiko für Frauen, an Brustkrebs zu erkranken, zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr am größten sei. Das leuchtete mir nicht ein. "Sind wir uns darin einig", setzte ich nach, "dass die Wahrscheinlichkeit des Entstehens von bösartigen Tumoren im höheren Alter zunimmt?"
Sie runzelte kurz nachdenklich die Stirn. "Ja, das stimmt." Dann schwieg sie. 

Ich behaupte, dass es einen Zusammenhang zwischen dem vorgegebenen Altersspektrum der Frauen und dem Risiko des Ausscheidens aus dem Arbeitsleben gibt. Immerhin ist Brustkrebs seit Langem die häufigste Krebsart, an der Frauen erkranken. Aber das ist meine persönliche Einschätzung. Den wahren Grund für die Altersvorgabe wird keiner von uns erfahren.

Nachtrag: Ich habe kurz mit dem Gedanken gespielt, nicht das Mammographie-Gerät hochzuladen, sondern ein Foto, auf dem man große Brüste sieht. Einfach aus Neugier, ob dadurch die Zugriffszahlen signifikant erhöht werden. Wie ihr seht, habe ich es dann doch gelassen. Aber irgendwann werde ich das nachholen. Aus rein empirischen Gründen natürlich. Warum auch sonst.

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