Mehr Mut, bitte!

Vor ein paar Tagen war ein befreundetes Paar bei uns. Sie ist ein bisschen jünger als ich, er ein paar Jahre älter. Wir kennen uns schon ungefähr 25 Jahre, jeder weiß also, was er vom anderen zu halten hat.

Aber es gibt Dinge, an die ich mich nicht gewöhnen kann oder will. Eben so etwas passierte, als uns die beiden besuchten. Sie erzählte von den Kolleginnen an ihrem Arbeitsplatz, und irgendwann fiel der Name derjenigen Partei, deren Name ungefähr so unsäglich (oder unsagbar) ist wie der des mächtigen schwarzen Magiers bei Harry Potter.

Ich habe sie dann gefragt, wie sie reagieren würde, wenn im Kollegenkreis diese Partei, die sich für eine Alternative hält, offen befürwortet würde. Ich weiß, dass sie deren Gedankengut eigentlich ablehnt. Ich weiß aber auch, dass sie Konflikten aller Art am liebsten aus dem Weg geht. Sie überlegte kurz und antwortete dann, dass sie sich aus politischen Diskussionen lieber heraushält und nichts dazu sagt.

Das war zu 100 Prozent die Antwort, die ich erwartet hatte. Sehr viele Menschen tun das. Leider. Meine nächste Frage lag mir direkt auf der Zunge. Ob es richtig war, sie mir zu verkneifen, weiß ich nicht genau. Wahrscheinlich hätte ich damit nichts bewirkt. Aber euch erzähle ich, welche Frage mir unmittelbar danach in den Sinn kam: "Ist dir bewusst, dass ich, wenn diese Partei in Deutschland jetzt schon die Regierung stellen würde, bald tot wäre?" 

Während des deutschen Nationalsozialismus' wurden bis 1945 etwa 200.000 kranke und/oder behinderte Menschen getötet. Zu grausiger Bekanntheit gelangte dabei die sogenannte Aktion T4, der zwischen 1940 und 1941 über 70.000 Behinderte zum Opfer fielen. 

Mein Onkel, der ältere Bruder meines Vaters, war
Gedenkstätte Hadamar an der gleichnamigen Tötungsanstalt
einer von ihnen. Er war Epileptiker und wurde mit der offiziellen Begründung, ihn besser betreuen zu wollen, als das zu Hause möglich war, abgeholt und in ein Heim gebracht. Dort starb er. Mein Vater hat mehrmals davon gesprochen, sein Bruder sei "gestorben worden". Vermutlich war ihm die Formulierung, dass er ermordet wurde, zu monströs und zu schlecht auszuhalten, um das, was damals passiert ist, direkt beim Namen zu nennen.


Wer zu dem, was diese "alternative" Partei äußert oder tut, schweigt, überlässt ihr das Feld. Ihre Anhänger melden sich nämlich ständig zu Wort - egal, ob sie gefragt werden oder nicht. Im Internet, in Talkshows, auf der Straße. 

Wenn es sich bei denen, die dazu bislang nichts sagen, um die sprichwörtliche schweigende Mehrheit handeln sollte, wird es Zeit, dass sich diese Mehrheit endlich aus der Deckung wagt und den Mund aufmacht. Am besten jetzt. 


Quelle Foto: Volker Thies (Asdrubal) - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5308983

Kommentare

  1. Ein schwieriges Feld, und es wird immer schwieriger für Freunde, über Politik zu diskutieren. Als der Bruch mit meiner Freundin stattfand, war das nicht nur, weil sie mich während meiner Krankheit im Stich ließ, es brodelte schon Monate vorher. Wir konnten nicht vernünftig über Politik reden. Ob es nun die AfD war oder die Flüchtlingspolitik, über viele Aussagen von ihr war ich doch erschrocken und konnte sie nicht akzeptieren.

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    1. Ich habe bei Diskussionen über Politik auch manchmal den Eindruck, ich sehe in einen gähnenden Abgrund, der sich zwischen meinem Gegenüber und mir auftut. Und ich frage mich dann, ob das ein neues Phänomen ist oder schon immer so war. Auf ein Stammtischniveau, wo der, der am lautesten schreit, "recht" hat, will ich mich aber auf keinen Fall einlassen. Bislang sind deswegen noch keine Freundschaften zerbrochen, aber es hätte möglicherweise soweit kommen können, wenn ich das, was ich oben geschrieben habe, gesagt hätte. Ich kenne mich aber und weiß, dass ich mich dieser Freundin gegenüber nicht bis zum St.-Nimmerleins-Tag werde zurückhalten können.

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  2. Neulich habe ich den Roman "Heiße Sonne" von Iris Krumbiegel gelesen. Darin schildert Sie anhand einer Familie auf einem Gut, wie das damals mit den Nazis angefangen hat mit der Judenverfolgung und obwohl es viele mahnende Stimmen gab, mit der Botschaft "wehret den Anfängen!", scheint es mir, als wären wir schon wieder mittendrin in der Gehirnwäsche. Nur dass es jetzt die Migranten und Flüchtlinge sind und eben auch Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht selber bestreiten können, Behinderte und chronisch Kranke, die im neuen Arierland unwillkommen sind. Damals gab es neben den Überzeugten auch viele Mitläufer und solche, die nur ihre Haut retten wollten und deshalb umgeschwenkt sind. In meinem Umfeld sind viele ehemaligen Menschenfreunde plötzlich auch umgeschwenkt, was mir zunehmend Sorgen macht.

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    1. Mir macht diese Entwicklung auch Sorgen und ich höre Äußerungen, die ganz klar aus der braunen Ecke stammen, von Menschen, von denen ich das nicht erwartet hatte. Ich nehme wahr, dass der Widerstand gegen diese Entwicklung noch lange nicht stark genug ist und viel mehr Menschen dagegen die Stimme erheben müssen. Aber viel zu viele wollen lieber in Ruhe ihren Feierabend verleben und mit niemandem Ärger haben. Das war damals ganz ähnlich.

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  3. Ich dachte auch ewig, dass ich mich aus der Politik raushalte. Was habe ich mich geirrt! Tatsächlich hatte ich mich noch nie rausgehalten und immer einen klaren Standpunkt vertreten. Aber ich habe das nicht als "Politik" empfunden, sondern als gesunden Menschenverstand. :)

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    1. Das, was wir beide unter dem gesunden Menschenverstand verstehen, läuft woanders unter "linksversifft". Dieses rechte Geschwafel wird derart oft wiederholt, dass es langsam in die Gesellschaft einsickert. Gruselig.

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