Mein letzter Beitrag hier stammt vom 8. September. Fast drei Wochen ist es her, dass ich meine
Gedanken oder Erlebnisse mit euch geteilt habe. Das ist weit weg vom "täglichen" Gruseln. Aber das hatte einen Grund: In meiner Familie ist etwas vorgefallen, was ein weiteres Familienmitglied und mich dazu gebracht hat, praktisch von hier auf gleich den Koffer zu packen und nach England zu reisen. Ohne eine größere Planung; Flug und Hotel lassen sich heutzutage im Internet schnell buchen.
Ich will nicht darüber schreiben, was da genau bei uns passiert ist. Ich will euch erzählen, was ich unterwegs erlebt habe und warum mir mit aller Deutlichkeit bewusst wurde, dass ich ohne eine Begleitung bereits am Hamburger Hauptbahnhof hätte stranden können. Aber ich fange einfach mal von vorn an.
Diejenigen, die hier oder auf einem anderen Blog schon ein bisschen gestöbert haben, wissen, dass ich in der Nähe von Hannover wohne. Nicht in Kleinkleckersdorf, wo nur dann ein Bus bis zur Kreisstadt fährt, wenn Hund und Katze vor Langeweile gemeinsam ein Lied anstimmen. Meine Begleiterin und ich wollten nach Birmingham fliegen und von dort aus mit dem Zug weiter an die walisische Küste fahren. Es gibt Tage, an denen man vom Flughafen Hannover aus mit einem Direktflug nach Birmingham kommt. Der Tag, an dem wir uns auf die Socken gemacht haben, gehörte nicht dazu. Also auf nach Hamburg.
Ausländer, denen man sagt, man lebe in Hannover, zucken oft nur ratlos mit den Schultern. Hannover? Nie gehört. Aber Hamburg? Na klar, Hamburg ist weltweit bekannt. Der Hauptbahnhof auch: Dort steigen deutschlandweit die meisten Menschen in Züge ein oder aus und mit täglich mehr als einer halben Million Passagieren ist er der am zweithäufigsten frequentierte Bahnhof Europas. Dorthin fuhren wir, um dann mit der S-Bahn zum Flughafen zu gelangen. Zum S-Bahn-Gleis führte eine breite Treppe nach unten. In der einen Hand hatte ich meinen Koffer, in der anderen Hand den Gehstock. Das ergibt genau null Hände für den Griff zum Treppengeländer. Nichts für mich.
Der suchende Blick nach einem Fahrstuhl blieb an einem Computerausdruck hängen, der an einer Bretterwand befestigt war. Die Bahn informierte ihre Fahrgäste, dass der Aufzug wegen der aktuellen Bauarbeiten leider bis auf Weiteres gesperrt sei. Einen irgendwie gearteten Ersatz gab es nicht, auch weit und breit kein hilfreiches Bahnpersonal. Glücklicherweise war ich nicht allein, meine Begleiterin hat dann meinen Koffer nach unten getragen.
Die Fahrt zum Hamburger Flughafen erfordert ein gewisses Know-How. Man steigt nicht einfach in die S-Bahn ein und am Ziel wieder aus. Es geht darum, in einen der für den Flughafen vorgesehenen Waggons zu steigen, nämlich in einen ganz vorn. Von der Treppe aus sind das die, zu denen der Weg am längsten ist. Wir haben das zufällig mitbekommen und uns am Gleis bei anderen Fahrgästen durchgefragt, bis wir an der richtigen Stelle waren. Erst dort hingen neben den Gleisen entsprechend beschriftete Transparente. Menschen mit Sehbehinderungen wären vermutlich in die falschen Waggons gestiegen und irgendwohin gefahren, nur nicht zum Flughafen.
Für den Rückflug ab Birmingham hatte ich den
Behinderten-Service gebucht. Das hat überall, wo ich bislang mit dem Flugzeug war, bestens geklappt. Wie von der Fluggesellschaft vorgegeben, meldeten wir uns am Check-In-Schalter. Dort war meine Buchung bekannt und die freundliche Dame bat mich, auf einem der blauen Sitze mit dem Rolli-Symbol Platz zu nehmen und zu warten. Der Service sei gleich da. Wie dehnbar ist "gleich"?
Wir wussten, dass in Kürze das Boarding bevorstand und sahen uns suchend nach dem Helfer um. Dann entdeckten wir einige Meter von den blauen Sitzen entfernt ein in die Wand eingelassenes Kommunikationsgerät. Ein geschmeidigeres Wort fällt mir für diese Konstruktion nicht ein. Auf blauem Grund stand in weißer Schrift "Help", darunter befanden sich Löcher, die offenbar für das Mikro und den Lautsprecher da waren, und etwas tiefer sah man einen großen roten Druckknopf. Nachdem ich ihn betätigt und eine Weile gewartet hatte, meldete sich eine männliche Stimme: "Hello?" Ich sagte, worum es geht und der Herr versprach, gleich zu kommen. Das "gleich" kennen wir ja nun schon, es scheint dort ein Synonym für "irgendwann" zu sein.
Wir machten uns ohne einen Helfer auf den Weg zur Sicherheitskontrolle. Der Raum war voller Menschen, die Abfertigung verlief zunächst ganz normal. Doch dann sah ich, dass gerade mein Koffer für eine Stichprobenkontrolle zur Seite genommen und auf ein anderes Förderband gelegt worden war. Ausgerechnet mein Koffer, der harmloseste der Erde. Die Zeit drängte, die Kontrolleure taten seelenruhig ihre Arbeit. Mein Koffer war an Position sieben, als ich ihn entdeckte. Zu sagen, dass die Kontrolleure die Ruhe weg hatten, wäre maßlos untertrieben. Unser Puls stieg angesichts der fortschreitenden Zeit, der der Kontrolleure ganz sicher nicht. Die abwechselnd vorgetragenen Hinweise "our boarding has already begun" (was stimmte) und "I'm disabled and can't stand long" (was ebenfalls stimmt) führten zu Reaktionen, die, wenn überhaupt, nur von sehr scharfen Beobachtern hätten wahrgenommen werden können. Mir sind keine aufgefallen.
Die Kofferreihe wurde hübsch der Reihe nach abgearbeitet. Als nur noch zwölf Minuten bis zum Ende des Boarding übrig waren, war auch mein Gepäck auf Herz, Nieren, verbotene Waffen (keine) sowie verdächtige Flüssigkeiten (auch keine) überprüft.
Birmingham ist kein Provinzflughafen. Die Wege sind ziemlich lang, der Weg zu unserem Gate war es ebenfalls. Meine Begleiterin hatte ihr Tempo beschleunigt, um bescheid zu geben, dass ich unterwegs bin. Nach ein paar Minuten kamen mir zwei Helfer mit leeren Rollstühlen entgegen. Die Rettung war nah. Ich sprach sie an und bat sie, mich zu meinem Gate zu bringen. "It's just around the corner", antworteten sie mit einem optimistischen Lächeln. Ein "no" war vermutlich nicht mit der britischen Höflichkeit zu vereinbaren. Unser Gate war, wie ich dann nach dem Einbiegen in den nächsten Gang bemerkte, noch ein ganzes Stück entfernt. Ich fühlte mich, gelinde gesagt, veralbert.
Wir haben es auf den allerletzten Drücker geschafft, unser Flugzeug zu erreichen. Die Bordtür schloss sich unmittelbar hinter uns. Und das war nur ein Teil der Rückreise.
Rückblickend finde ich es inakzeptabel, wie unsere Hin- und Rückreise verlaufen ist. Gedankenlosigkeit gepaart mit fehlender Sensibilität und nicht wahrnehmbarer Umsicht haben uns das Leben unnötig schwer gemacht. Mir hat leid getan, meine Begleiterin ständig beansprucht zu haben, aber ohne ihre Unterstützung wäre ich nicht mal in Wales angekommen. Und das, obwohl ich nicht im Rollstuhl sitze oder komplizierte Vorgehensweisen nötig sind wie zum Beispiel bei Menschen mit Glasknochen.
Großbritannien hat sich offiziell ebenso der Inklusion verschrieben wie Deutschland. Beide Länder sind hier immer noch auf dem Niveau von Anfängern, was sehr häufig auch daran liegt, dass diejenigen, für die erleichternde Maßnahmen durchgeführt werden sollen, nicht nach ihren Bedürfnissen gefragt werden. Wieder mal.
Hauptbahnhof Hamburg |
Ich will nicht darüber schreiben, was da genau bei uns passiert ist. Ich will euch erzählen, was ich unterwegs erlebt habe und warum mir mit aller Deutlichkeit bewusst wurde, dass ich ohne eine Begleitung bereits am Hamburger Hauptbahnhof hätte stranden können. Aber ich fange einfach mal von vorn an.
Diejenigen, die hier oder auf einem anderen Blog schon ein bisschen gestöbert haben, wissen, dass ich in der Nähe von Hannover wohne. Nicht in Kleinkleckersdorf, wo nur dann ein Bus bis zur Kreisstadt fährt, wenn Hund und Katze vor Langeweile gemeinsam ein Lied anstimmen. Meine Begleiterin und ich wollten nach Birmingham fliegen und von dort aus mit dem Zug weiter an die walisische Küste fahren. Es gibt Tage, an denen man vom Flughafen Hannover aus mit einem Direktflug nach Birmingham kommt. Der Tag, an dem wir uns auf die Socken gemacht haben, gehörte nicht dazu. Also auf nach Hamburg.
Ausländer, denen man sagt, man lebe in Hannover, zucken oft nur ratlos mit den Schultern. Hannover? Nie gehört. Aber Hamburg? Na klar, Hamburg ist weltweit bekannt. Der Hauptbahnhof auch: Dort steigen deutschlandweit die meisten Menschen in Züge ein oder aus und mit täglich mehr als einer halben Million Passagieren ist er der am zweithäufigsten frequentierte Bahnhof Europas. Dorthin fuhren wir, um dann mit der S-Bahn zum Flughafen zu gelangen. Zum S-Bahn-Gleis führte eine breite Treppe nach unten. In der einen Hand hatte ich meinen Koffer, in der anderen Hand den Gehstock. Das ergibt genau null Hände für den Griff zum Treppengeländer. Nichts für mich.
Der suchende Blick nach einem Fahrstuhl blieb an einem Computerausdruck hängen, der an einer Bretterwand befestigt war. Die Bahn informierte ihre Fahrgäste, dass der Aufzug wegen der aktuellen Bauarbeiten leider bis auf Weiteres gesperrt sei. Einen irgendwie gearteten Ersatz gab es nicht, auch weit und breit kein hilfreiches Bahnpersonal. Glücklicherweise war ich nicht allein, meine Begleiterin hat dann meinen Koffer nach unten getragen.
Die Fahrt zum Hamburger Flughafen erfordert ein gewisses Know-How. Man steigt nicht einfach in die S-Bahn ein und am Ziel wieder aus. Es geht darum, in einen der für den Flughafen vorgesehenen Waggons zu steigen, nämlich in einen ganz vorn. Von der Treppe aus sind das die, zu denen der Weg am längsten ist. Wir haben das zufällig mitbekommen und uns am Gleis bei anderen Fahrgästen durchgefragt, bis wir an der richtigen Stelle waren. Erst dort hingen neben den Gleisen entsprechend beschriftete Transparente. Menschen mit Sehbehinderungen wären vermutlich in die falschen Waggons gestiegen und irgendwohin gefahren, nur nicht zum Flughafen.
Für den Rückflug ab Birmingham hatte ich den
Behinderten-Service gebucht. Das hat überall, wo ich bislang mit dem Flugzeug war, bestens geklappt. Wie von der Fluggesellschaft vorgegeben, meldeten wir uns am Check-In-Schalter. Dort war meine Buchung bekannt und die freundliche Dame bat mich, auf einem der blauen Sitze mit dem Rolli-Symbol Platz zu nehmen und zu warten. Der Service sei gleich da. Wie dehnbar ist "gleich"?
Wir wussten, dass in Kürze das Boarding bevorstand und sahen uns suchend nach dem Helfer um. Dann entdeckten wir einige Meter von den blauen Sitzen entfernt ein in die Wand eingelassenes Kommunikationsgerät. Ein geschmeidigeres Wort fällt mir für diese Konstruktion nicht ein. Auf blauem Grund stand in weißer Schrift "Help", darunter befanden sich Löcher, die offenbar für das Mikro und den Lautsprecher da waren, und etwas tiefer sah man einen großen roten Druckknopf. Nachdem ich ihn betätigt und eine Weile gewartet hatte, meldete sich eine männliche Stimme: "Hello?" Ich sagte, worum es geht und der Herr versprach, gleich zu kommen. Das "gleich" kennen wir ja nun schon, es scheint dort ein Synonym für "irgendwann" zu sein.
Wir machten uns ohne einen Helfer auf den Weg zur Sicherheitskontrolle. Der Raum war voller Menschen, die Abfertigung verlief zunächst ganz normal. Doch dann sah ich, dass gerade mein Koffer für eine Stichprobenkontrolle zur Seite genommen und auf ein anderes Förderband gelegt worden war. Ausgerechnet mein Koffer, der harmloseste der Erde. Die Zeit drängte, die Kontrolleure taten seelenruhig ihre Arbeit. Mein Koffer war an Position sieben, als ich ihn entdeckte. Zu sagen, dass die Kontrolleure die Ruhe weg hatten, wäre maßlos untertrieben. Unser Puls stieg angesichts der fortschreitenden Zeit, der der Kontrolleure ganz sicher nicht. Die abwechselnd vorgetragenen Hinweise "our boarding has already begun" (was stimmte) und "I'm disabled and can't stand long" (was ebenfalls stimmt) führten zu Reaktionen, die, wenn überhaupt, nur von sehr scharfen Beobachtern hätten wahrgenommen werden können. Mir sind keine aufgefallen.
Die Kofferreihe wurde hübsch der Reihe nach abgearbeitet. Als nur noch zwölf Minuten bis zum Ende des Boarding übrig waren, war auch mein Gepäck auf Herz, Nieren, verbotene Waffen (keine) sowie verdächtige Flüssigkeiten (auch keine) überprüft.
Birmingham ist kein Provinzflughafen. Die Wege sind ziemlich lang, der Weg zu unserem Gate war es ebenfalls. Meine Begleiterin hatte ihr Tempo beschleunigt, um bescheid zu geben, dass ich unterwegs bin. Nach ein paar Minuten kamen mir zwei Helfer mit leeren Rollstühlen entgegen. Die Rettung war nah. Ich sprach sie an und bat sie, mich zu meinem Gate zu bringen. "It's just around the corner", antworteten sie mit einem optimistischen Lächeln. Ein "no" war vermutlich nicht mit der britischen Höflichkeit zu vereinbaren. Unser Gate war, wie ich dann nach dem Einbiegen in den nächsten Gang bemerkte, noch ein ganzes Stück entfernt. Ich fühlte mich, gelinde gesagt, veralbert.
Wir haben es auf den allerletzten Drücker geschafft, unser Flugzeug zu erreichen. Die Bordtür schloss sich unmittelbar hinter uns. Und das war nur ein Teil der Rückreise.
Rückblickend finde ich es inakzeptabel, wie unsere Hin- und Rückreise verlaufen ist. Gedankenlosigkeit gepaart mit fehlender Sensibilität und nicht wahrnehmbarer Umsicht haben uns das Leben unnötig schwer gemacht. Mir hat leid getan, meine Begleiterin ständig beansprucht zu haben, aber ohne ihre Unterstützung wäre ich nicht mal in Wales angekommen. Und das, obwohl ich nicht im Rollstuhl sitze oder komplizierte Vorgehensweisen nötig sind wie zum Beispiel bei Menschen mit Glasknochen.
Großbritannien hat sich offiziell ebenso der Inklusion verschrieben wie Deutschland. Beide Länder sind hier immer noch auf dem Niveau von Anfängern, was sehr häufig auch daran liegt, dass diejenigen, für die erleichternde Maßnahmen durchgeführt werden sollen, nicht nach ihren Bedürfnissen gefragt werden. Wieder mal.
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