Wie gut kennen mich die sozialen Netzwerke?

Ich bin in einem sozialen Netzwerk unterwegs,
dessen Logo ein weißer Vogel auf blauem Grund ist. Am rechten Bildschirmrand stehen die aktuellen Trends. Genauer heißt es sogar: "Trends für dich".
 
Ganz oben taucht heute der Hashtag 'Nazi' auf. Gleich darunter kommt 'Sachsen'. Die Kombination hat zweifellos eine gewisse Aktualität, auch wenn ich weit davon entfernt bin, jeden Sachsen für einen Nazi zu halten. Aber anhand meiner eigenen Beiträge und denen der Nutzer, deren Beiträge ich lese und kommentiere und die das umgekehrt bei mir ebenfalls tun, folgere ich, dass diese beiden Hashtags nicht so relevant sind.
 
Auf Platz 3 der Trends: #Giffey. Ich behaupte, in diesem Netzwerk noch nie ein Wort über sie verloren zu haben. Die Nutzerwolke - ich kann das Wort 'Filterblase' nicht mehr hören oder lesen - um mich herum hat sich mit Posts zur Ministerin und eventuellen Plagiatorin auch nicht aus dem Fenster gelehnt. Aber das wäre notwendig, damit mir diese Trends gezeigt werden, denn diese Erläuterung bekommt man, wenn man sich den Trend-Bereich näher ansieht: 
 
Trends für dich
Erhalte personalisierte Trends basierend auf deinem Standort und den Nutzern, denen du folgst. 
 
Und wie sieht es mit dem Netzwerk mit dem blauen F aus? Es ist fast täglich um mein leibliches Wohl besorgt. In einem Kämmerlein scheint jemand zu sitzen, der sich denkt: "Mensch, hat die Ina heute überhaupt schon was Ordentliches gegessen? Schlagen wir ihr doch mal ein Restaurant in ihrer Nähe vor, damit sie es nicht so weit hat." Ist doch nett, oder?
 
Die da in diesem Kämmerlein sitzen, wissen ganz sicher, dass ich nicht gut längere Strecken gehen kann. Müssen sie ja, schließlich poste ich meine Blogbeiträge auch dort. Und in den Zeiten des Klimawandels ist es ja keine gute Idee, wegen jedes kleinen Hüngerchens ins Auto zu steigen. Aber Fahrrad geht. Na, dann gucke ich doch mal, was mir das besorgte F vorschlägt.
 
Die Tipps beginnen mit einer Pizzamanufaktur in Bremerhaven. Ich wohne südlich von Hannover. Sich bei dieser Entfernung spontan auf die Socken zu machen, um in Bremerhaven Pizza zu essen, ist nicht verlockend. Die Experten des blauen F reden das Problem schön und behaupten, dass zwischen mir und Bremerhaven nur 33 Kilometer liegen. Nein, definitiv nicht. Ungefähr 30 Kilometer sind es von hier aus bis nach Hildesheim; bis zur Pizzamanufaktur sind es fast 200 Kilometer und damit zwei Stunden Fahrt mit dem Auto. Mit dem Fahrrad übrigens schlappe neuneinhalb Stunden, sagt der Online-Routenplaner.
 
Aber man muss auch einem Netzwerk wie dem F zugestehen, hin und wieder danebenzuliegen. Also fällt der Blick auf den nächsten Top-Tipp, eine Gastwirtschaft mit deutscher Küche im schönen und beschaulichen Großefehn. Ich habe bis jetzt nicht gewusst, dass Ostfriesland bei mir um die Ecke ist: Das blaue F schreibt, dass mich nur 37 Kilometer von Heilbutt und Wildlachs auf Rahmwirsing und Sellerie trennen. So nah war ich der Nordsee noch nie, ohne mich von meinem Schreibtisch weg zu bewegen. Großefehn ist bei Aurich, also zwischen Emden und Wilhelmshaven. Mit dem Auto brauche ich für die etwa 240 Kilometer wenn es gut läuft zweieinhalb Stunden, mit dem Fahrrad einen halben Tag.
 
Für solche wenig hilfreichen Empfehlungen kann es nur eine dieser Erklärungen geben:
Entweder haben es die sozialen Netzwerke mit ihrer Datensammelei einfach nicht drauf und wir können uns hämisch grinsend über so viel Unvermögen zurücklehnen oder sie wollen uns in Sicherheit wiegen. Beim blauen F hatte ich für eine Millisekunde den Verdacht, dass die "Empfehlungen" ein verdeckter Hinweis sein könnten, weniger zu essen...
Ach was! 😎
 

Kommentare

  1. Oh, Großefehn kenne ich, weil ich in unserem diesjährigen Urlaub durch diesen Ort gefahren bin.
    Schön, dass das blaue F so besorgt um uns User ist. Wir leben in einer herrlich automatisierten Welt, in der nach Herzenslust Daten gesammelt und ausgewertet werden können. Viele geben noch dazu viel von ihrem ganz privaten Leben preis. Wen wundert es, wenn wir alle gläsern werden?
    Aber niemals wird eines der Netzwerke unser Innerstes aufdecken können. Denn wie heißt es so schön: "Gedanken sind frei. Kein Mensch kann sie wissen ..." oder vielleicht das blaue F doch?
    Zustimmende Grüße von der Pfälzerin

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    1. Es gibt ja bereits Forscher, die daran arbeiten, Gedanken lesen zu können. Ich finde, das ist eine schreckliche Vorstellung. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was sich unter den Menschen abspielt, wenn sie erkennen, dass ihr Nachbar bei ihrem Anblick "Du blöde Sau" gedacht hat, bevor er ein "Guten Morgen" über den Zaun schmetterte.
      Sommerliche Grüße von der Niedersächsin

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