Zu wenig Schlaf

Hier war es in der letzten Zeit heiß. Sehr heiß. Meine persönliche Wohlfühltemperatur liegt bei etwa 25° C. Wird sie deutlich überschritten, empfinde ich das als Belastung. So wie am letzten Wochenende oder Mitte der letzten Woche: Bis zu 36° C hat unser Thermometer angezeigt.

Ist die Hitze tagsüber schwer auszuhalten, setzt sich das nachts fort. An heißen Tagen schlafe ich so schlecht, dass ich morgens den Eindruck habe, die Nacht durchgefeiert zu haben. Wenn's doch so wäre... Die erste Kieferbewegung direkt nach dem Aufwachen ist das Gähnen.

Ich bin zufällig heute über einen Blog gestolpert, den
Nein, auf diesem Foto ist nicht meine Tochter zu sehen.
ich zwischenzeitlich irgendwie aus den Augen verloren hatte. Der Stresemann-Blog war mir schon im Herbst des letzten Jahres mit einem kurzen Artikel aufgefallen, zu dem ich noch viel mehr hätte beisteuern können, als ich es dann getan habe. Es ging um das Schlafdefizit von Patienten im Krankenhaus. Als die Geburt meiner Tochter anstand und ich ins Krankenhaus gebracht wurde, haben mir mehrere Leute empfohlen: "Bleib dort ruhig ein paar Tage. Dort kannst du dich erholen!"


Dieser Rat war selbstverständlich von allen gut gemeint. Was sie damit sagen wollten: Solange ich mit meinem Kind im Krankenhaus bin, muss ich mich nicht ums Essen, den Haushalt und - bis aufs Stillen - noch nicht mal um mein Kind kümmern. So ähnlich wie im Hotel Mama. Seltsam daran war, dass mir dieser Rat von Menschen gegeben wurde, die selbst schon mehrmals im Krankenhaus waren.

Man kann fast überall besser schlafen als in einem Krankenhaus. Ich habe Krankenhausaufenthalte nach einem Unfall, nach Geburten und nach OPs erlebt. In verschiedenen Kliniken und unterschiedlichen Städten. Überall schwang zwischen 5 und 6 Uhr morgens die Zimmertür auf und eine Nachtschwester, die sich auf das Ende ihrer Schicht freute, gab das Signal zum Waschen. Ausgenommen waren nur diejenigen, die allein duschen durften. Also in der Regel nicht ich.

Bis zum Frühstück kam noch ein bis zwei Mal jemand zur Tür herein. Blutabnahme, Betten machen, Waschschüssel wegbringen, Bettpfannen bringen und später ihren Inhalt entsorgen und so weiter und so fort. 

War das Frühstück gerade ausgeteilt, kam gern ein Arzt vorbei um nach seinen Schäfchen zu gucken. "Oh, lassen Sie sich nicht beim Essen stören!" Ach was, ich doch nicht! Käffchen?
Bis zum Abräumen des leeren Tabletts konnte spielend eine Stunde oder mehr vergehen. Vor oder kurz nach diesem Tagesereignis feudelte eine Reinigungskraft durchs Zimmer. Irgendwann später schaute die Physiotherapeutin vorbei; ich kann mich nach insgesamt mehrjährigen Klinikaufenthalten nicht erinnern, auch nur ein Mal von einem Herrn behandelt worden zu sein. Zu gendern gibt es an dieser Stelle also nichts.

Dabei muss man sich vorstellen, dass sich das alles in einem Mehrbettzimmer abspielte. Ich habe die verschiedensten Zimmergrößen (bis zu 10 Patienten) sowie Bettnachbarinnen erlebt. Sie waren zum Teil sehr nett, zum Teil aber auch zum Fremdschämen. Jede einzelne hatte ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse, manche verwechselten ein Krankenhaus mit einem Hotelbetrieb. Das bedeutete: Etliche Nebenliegerinnen, denen ich begegnet bin, haben wegen jeder Kleinigkeit nach einem Pfleger oder einer Krankenschwester geklingelt. Die Tür ging also viele Male am Tag auf. 

Die Pausen, in denen sich niemand vom Krankenhauspersonal im Raum befand, wurden von zwei Dingen ausgefüllt: dem Besuch und dem gesprochenen Wort. Besuch hat es naturgemäß an sich, dass man von ihm auch sehr viele gesprochene Wörter hören muss. Ich rede da in erster Linie von dem Besuch, den die Nachbarinnen bekommen haben. Da wurden lautstark die Ereignisse der letzten Zeit durchgehechelt (wer mit wem oder auch nicht und dergleichen) und wenn es schlecht für mich lief, wurde ich in die Gespräche einbezogen. 

Das gesprochene Wort blieb auch dann ein treuer Begleiter, wenn sich die Zimmertür hinter dem letzten Besucher geschlossen hatte. Eigentlich gibt es ja bestimmte Signale, die den Mitmenschen sagen sollen: "Hey, nimm's nicht persönlich, aber ich habe jetzt absolut keine Lust, mich zu unterhalten." So ein untrügliches Signal ist das aufgeklappte Buch in der Hand und ein Augenpaar, das sich in die Seiten vertieft. Aber wie sagte schon mein Mathelehrer in der Oberstufe? "Eigentlich heißt, dass es Ausnahmen gibt." Wie wahr das ist, erlebt man, wenn man im Krankenhaus lesen will.

"Duhu?" Jetzt nicht hochsehen, Ina. Wer den Kopf hebt, hat verloren. Schweigen ist Gold, Lesen ist Platin. "Kann ich dich mal etwas fragen?" Pfff... Der Kompromiss ist jetzt, den Kopf gesenkt zu lassen, die längst verlorene Konzentration aufs Lesen vorzutäuschen und maximal einen klassischen Ein-Wort-Satz auszuspeichern: "Hm." Fehler! Wer das falsch betont, zum 'm' hin ansteigend, hat spätestens in diesem Moment gegen alle Quasselstrippen dieser Welt verloren.

Das missratene "Hm" ist der Startschuss für eine verbale Litanei, wahlweise wird nun die Familien- oder die Krankengeschichte über einem ausgeschüttet wie ein olles Jauchefass. Wenn die eigenen Gebrechen nicht reichen, müssen auch die von Oppa und Omma herhalten. Egal, Hauptsache labern.

Wenn solche Nervtöter neben dir in der Bahn sitzen, kann man notfalls den Sitzplatz wechseln. Das geht im Krankenhaus nicht: Nach so manchem Eingriff darf man zunächst nicht aufstehen und ist diesen Menschen ausgeliefert. Auch ein flottes "Halt's Maul!", was sich aus den Tiefen des Bewusstseins den Weg bis zum Mundraum gebahnt hat, kann da nur mühsam zurückgehalten werden. Wenn man Pech hat, hat man die Nebenliegerin über Wochen in seinem Zimmer, und die Stimmung ist nach so einem verbalen Ausreißer ein für alle Mal im Eimer.

Und dann kommt die Nacht. Aus den Mündern kommt da über Stunden eine ganze Menge, aber leider nichts Erfreuliches. Manche entwalden bis zum Weckruf am nächsten Morgen die deutschen Mittelgebirge, andere seufzen im Schlaf so bedeutungsschwer, als läge die Last des Universums auf ihnen. Aber sie sind gegen die dritte Gruppe nichts als blutige Anfänger: Wer es endgültig verhindert, dass man schlafen kann, sind die, die im Traum sprechen. Sie intonieren mal laut und mal leiser, scheinen einen Gesprächspartner zu haben und verfügen häufig über eine wirklich schechte Eigenschaft: Sie sprechen undeutlich! 

Wenn ich mich schon nicht dagegen wehren kann, sogar nachts einem Wortschwall ausgesetzt zu werden, dann kann man doch erwarten, dass nicht so genuschelt wird. Das ist nun wirklich nicht zuviel verlangt, oder? Aber nein: Die, die sich dir tagsüber mit ihrem "Duhu?" aufgedrängt haben, machen mit dem Einbruch der Dunkelheit aus allem ein Geheimnis. Wenn man im Geiste ständig Lückentexte auffüllen muss, ist schlafen einfach nicht möglich!

So, und jetzt noch mal kurz zurück zu denen, die ihren Lieben raten, zur Erholung ruhig ein bisschen länger im Krankenhaus zu bleiben: Hattet ihr hier an irgendeiner Stelle den Eindruck, dass ich dort auch nur ein Mal ausschlafen konnte?
Eben.

Kommentare

  1. Ich kann das auch nicht verstehen, warum manche Leute gerne länger im Krankenhaus liegen. Nach der Geburt meiner Kinder wäre ich am liebsten gleich wieder heim gegangen. Leider war das bei den ersten beiden nicht üblich und beim dritten Kind nicht möglich nach einem vermurxten Notkaiserschnitt. Krönung dieses Aufenthaltes war, als ich fiebergeschwächt und schmerzgeplagt am 4. Tag mein Kind baden musste. O-Ton genervte Hebamme: Zu Hause müssen Sie es ja dann auch können!!! Hallo, es war mein drittes Kind und niemand wusste besser wie ich, wie man Kinder badet. Ich hab die illustre Einrichtung auf eigenen Wunsch früher verlassen, in der es zuging wie auf einem Bahnhof und ich während des Milchabpumpens von der halben Klasse meiner damals elfjährigen Tochter überrascht wurde. Nach der freiwilligen Entlassung setzte rasch der Heilungsprozess ein. ;-)

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    1. Ich könnte über meine KKH-Aufenthalte auch ein Buch schreiben. Vielleicht sollten wir uns zusammentun?

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    2. gnihihi. :)
      Aaaalso, ich konnte mich tatsächlich bei meinen diversen KH-Aufenthalten erholen. Ist allerdings lange her (noch zu DDR- und dann zu Wendezeiten) und vielleicht dem Umstand geschuldet, dass ich mal kurzzeitig Privatpatientin war. Es ist übrigens grenzenlos öde, wenn man wochenlang in einem Einzelzimmer rumdümpelt und die einzige Ablenkung der selbst mitgebrachte Fernseher ist. Das war zu einer Zeit, als es noch keine Digitalvernetzung und keine Bezahlkanäle gab. Noch nie in meinem Leben habe ich so viele Groschenromane verschlungen - bis zu 5 Stück täglich!
      Noch einige Zeit davor (in meiner Jugend) weiß ich von einem 15-Bett-Zimmer zu berichten. Das war kein Zimmer, sondern ein Saal - im Dachgeschoss der Frauenklinik zu Gera - und ich lag zum Glück am Fenster. Die seltsame Behandlung erfolgte mittels Glaskolben zum Einführen - unter Beobachtung aller anwesenden Patientinne inklusive Tipps. Echt kurios und zi8emlich sinnlos (also die Behandlung). Inzwischen befindet sich in den historischen Gemäuern ein Etablissement des horizontalen Gewerbes. Wie passend. Aber schlafen konnte ich damals ziemlich gut dort. Kann mich nicht an Schnarcherinnen erinnern, doch ich selbst war diejenige, die im Traum geredet hat. Die Geburt meines ersten Sohnes fand ebenfalls in dieser Retro-Klinik statt, ich wurde auf einer Trage über den Hof gekarrt. Der zweite Sohn kam in der modernisierten Anlage weiter oben im Waldklinikum zur Welt. Beide problemlos und ad hoc. Über die seltsamen Ansichten/Anweisungen der angestellten Hebammen möchte ich mich allerdings auch nicht weiter äußern. 😂
      Essen war gut, Milchpumpen haben funktioniert. Kinder sind inzwischen erwachsen. <3

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    3. Ich habe auch sehr schräge Erinnerungen an Krankenhausaufenthalte. Die mit Abstand schlimmsten (und meisten) waren die in einem evangelischen Orthopädiekrankenhaus in Hannover. Früher, als ich noch ein Kleinkind war, waren zehn Kinder in einem Raum. Es war nie ruhig. Die Schwestern gingen mit uns um wie mit einem Stück Totholz, die Ärzte haben auch Pfusch schöngeredet.. Ich habe im Laufe der Zeit eine ganze Reihe Krankenhäuser von innen gesehen und natürlich sowohl sehr unterschiedliches Klinikpersonal als auch Zimmergenossinnen erlebt. Aufgrund der reichhaltigen ungewollten Erfahrung mit den lieben Mitmenschen dort habe ich mich bei den letzten beiden OPs dafür entschieden, das Geld aus meiner Krankenhaustagegeldversicherung für ein Einzelzimmer auf den Kopf zu hauen. Jedes Mal war ich drei bzw. vier Wochen dort und habe mich vorher mit einem Riesenstapel Bücher eingedeckt. Das Entsetzen eines Stationsarztes, als sein Blick beim Mustern des Bücherbergs am goldenen Schutzumschlag eines Wälzers hängenblieb, werde ich nie vergessen. "Wie können Sie SO ETWAS hier lesen?", fragte er völlig entgeistert. SO ETWAS war "House of God" von Samuel Shem (Stephen Bergman). Du wirst die Reaktion verstehen, wenn du das hier liest: https://de.wikipedia.org/wiki/House_of_God . Ich fand seine Reaktion jedenfalls sehr witzig. :D

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