Was ist den Menschen die Demokratie wert?

Vor etwas mehr als einem Jahr meldete die
© Michael Lorenz/pixelio.de; Hambacher Schloss, Wiege der dt.Demokratie
Bertelsmann-Stiftung im Rahmen einer regelmäßig durchgeführten Studie einen traurigen Rekord: Weltweit leben mehr als 3,3 Milliarden Menschen in einer Autokratie, so viele wie nie zuvor. Der Weltbevölkerungsbericht der UNFPA (United Nations Population Fund) und der DSW (Deutsche Stiftung Weltbevölkerung) weist für 2018 7,633 Milliarden Menschen aus, die auf der Erde lebten. Anders gesagt: Etwa 43 % der Menschheit lebt in einem Land mit einem politischen System, in dem nur eine Person oder eine Gruppe von Personen die Hosen anhat. 


Die Bertelsmann-Studie sieht sich alle zwei Jahre an, wie sich u. a. die Demokratie in 129 Entwicklungs- und Schwellenländern entwickelt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die demokratische Qualität in einem Fünftel dieser Länder verschlechtert hat. Das zeigt sich z. B. an weniger freien und fairen Wahlen oder an Verfassungsänderungen, die es der Regierung und der öffentlichen Verwaltung ermöglichen, ihre Macht auszubauen und zu stabilisieren. Staatsbürgerliche Rechte wurden mehr und mehr eingeschränkt; allen voran das Versammlungs- und Vereinigungsrecht, aber auch die Meinungsfreiheit wurde beschnitten. Diese Zurückdrängung der staatsbürgerlichen Rechte bewirkte die Manipulation der Bürger. Da werden staatliche Organisationen bevorrechtigt, Regierungskritiker öffentlich herabgesetzt und den Staatschefs die Deutungshoheit im politischen Umfeld überlassen. In 80 % dieser Staaten ist der Korruption Tür und Tor geöffnet, in der Hälfte von ihnen steht die Regierung sozialen Konflikten passiv gegenüber.

In einer weiteren Studie (Sustainable Governance Indicators 2018 (SGI)) sah sich die Bertelsmann-Stiftung die Entwicklung der Demokratiequalität in den 41 EU- und OECD-Staaten an. In 26 von ihnen haben sich die demokratischen und rechtsstaatlichen Standards im Vergleich zu der 2014 veröffentlichten Untersuchung verschlechtert. Ein Indikator ist das Verhalten von Regierungen im Zuge von Gesetzgebungsverfahren: Sie verzichten deutlich stärker auf eine breit angelegte Beratung durch gesellschaftliche Institutionen. Das, was in Deutschland als 'Anhörung' bezeichnet wird, wird von Regierungen immer häufiger sogar als entbehrlich betrachtet, wobei kritische Stimmen außen vor bleiben. Auch Deutschland hat nach Meinung der Wissenschaftler hier Federn gelassen: Sie beobachten eine politische Polarisierung sowie eine mangelnde Kommunikation der an der Regierung Beteiligten nach außen.

Wo wir schon mal bei den Zahlen sind: Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat etwas veröffentlicht, nämlich die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage anlässlich des 70. Geburtstags des Grundgesetzes. Danach sind 18 % der Befragten ziemlich oder sehr unzufrieden mit der hiesigen Demokratie. Es gibt dabei ein West-Ost-Gefälle und Unterschiede je nach gefühlter Parteienzugehörigkeit.

Den Anstoß zu diesem Text gab die Blogparade des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Sie lief zwar nur bis zum 28. Mai 2019, aber das ist mir an dieser Stelle wurscht. Unter der Fragestellung "Was bedeutet mir die Demokratie?" und dem mittlerweile unverzichtbaren Hashtag - nämlich kurz und griffig #dhmdemokratie -  wurden Blogger aufgefordert, passende Beiträge zu schreiben. Das tue ich mit diesem. 
Aus all den Zahlen, die in den Absätzen über diesem stehen, leite ich vor allem das ab: Eine Demokratie ist eine oft sehr zähe Angelegenheit. Es kann dauern, bis eine Entscheidung getroffen wurde. Aber sie ist trotz ihrer Mängel diejenige politische Ordnung, mit der ich mich am meisten identifiziere. Ich lege keinen Wert darauf, dass es an der Spitze unseres Staates nur eine Person oder Gruppierung gibt, die ohne irgendwelche Abstimmungsprozesse vorgibt, wie der Hase zu laufen hat. Ich verzichte auch dankend auf einen Abbau von Bürgerrechten und wünsche mir, dass das noch mehr Menschen so sehen würden. Vier Prozent der für die Bertelsmann-Studie Befragten gaben an, dass sie eine Demokratie ablehnen. Ihr, die ihr zu diesen vier Prozent gehört, lasst euch gesagt sein: Ihr habt echt nicht alle Latten am Zaun. Stellt ihr euch vor, dass ihr im Fall einer Diktatur zu denen gehört, die davon profitieren und Macht über ihre Mitmenschen ausüben können? Gut, es sind "nur" vier Prozent, aber dass es sie überhaupt gibt, macht mich nicht nur angesichts der deutschen Geschichte sprachlos.

Sehr passend finde ich da ein Zitat von Willy Brandt: "Der Bürgerstaat ist nicht bequem, Demokratie braucht Leistung." Genau. Eine Demokratie lebt nicht davon, dass man an Wahltagen mit seinem Hintern im Sessel kleben bleibt und sich anschließend über die Politik beschwert; sie lebt vom Mitmachen. Und da gibt es verschiedene Möglichkeiten, die dazu beitragen, dass sich der Einzelne mehr mit dieser Staatsform identifizieren kann und sie mitträgt. Die Demokratie ist ein Gut, das wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollten.

Kommentare

  1. Liebe Ina,

    wunderbar, dass dich unsere Blogparade #DHMDemokratie auch nach Ablauf zu diesen Gedanken motiviert hat - vielen herzlichen Dank!

    Über 60 Beiträge kamen zusammen, viel Denkstoff zu und über Demokratie, zu der du nun auch beiträgst. Wir schreiben gerade das Fazit, kein leichtes Unterfangen bei den facettenreichen Beiträgen.

    Herzlich,
    Tanja von KULTUR - MUSEUM - TALK

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    1. Liebe Tanja,
      ich freue mich, dass mir trotz der Verspätung nicht die virtuelle Tür vor der Nase zugeschlagen wurde. Ich finde das Thema sehr wichtig, da ich immer öfter den Eindruck habe, dass zu viele Menschen die Rechte, die eine Demokratie mit sich bringt, für selbstverständlich halten. Dass andernorts für Freiheit und Demokratie bis heute gekämpft und gestorben wird, scheint unter der Rubrik "Ist zu weit weg, interessiert mich nicht" abgeheftet zu werden.
      Ich hoffe, ihr macht mehr Aktionen dieser Art. Ich wäre dabei.
      Viele Grüße
      Ina

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