Elternsprechtage - Gespräche unter vier bis sechs Augen

In einer bekannten deutschen Wochenzeitschrift schreiben abwechselnd zwei Redakteurinnen und ein Redakteur über "das Leben mit ihren Kindern zwischen dem ersten und dem letzten Schultag". Der letzte Schultag meines jüngeren Kindes war 2013, und aus Muttersicht bin ich froh, dass diese Zeit vorbei ist. Heute las ich zwei Kolumnen derjenigen Redakteurin, die Mutter eines Sohnes mit Down-Syndrom und einer Tochter mit "Normal-Syndrom", wie sie es selbst nennt, ist. In der einen ging es um die Teilhabe und Akzeptanz ihres behinderten Kindes durch die Mitmenschen im Alltag, in der anderen um ihre Eindrücke während eines sogenanten Lernentwicklungsgesprächs, wie die kurzen Dialoge an halbjährlichen Stichtagen in den Hamburger Schulen heißen. Das Wort las sich wie alter Wein in neuen Schläuchen und ist es wohl auch.

Ich weiß nur ungefähr, wie viele Elternsprechtage ich
mitgemacht habe. In der weiterführenden Schule waren die Dialoge zwischen der Lehrerin oder dem Lehrer und mir noch kürzer als in der Grundschule: Fünf Minuten mussten reichen, um das Wesentliche über mein Kind mitzuteilen. Begrüßung und Verabschiedung verschlangen schon eineinhalb Minuten, da durfte dann keine weitere kostbare Zeit mit Nachfragen vergeudet werden, die einen Moment des Nachdenkens nötig gemacht hätten. Wegen dieser sehr sportlichen Taktung gab es darum nur zwei Arten von Gesprächen: Lief es gut, dann wurde ich freundlich angelächelt und mit Worten wie "Tja, eigentlich gibt es da nicht viel zu sagen. Das sieht alles gut aus" fast schon wieder zur Tür hinauskomplimentiert. Lief es schlecht, wurde nach einem betrübten Blick in die Unterlagen eine Mängelliste über mein Kind ausgespeichert. In beiden Fällen war der Elternsprechtag komplett sinnlos.

Was bei mir aber hängengeblieben ist, ist dieser sehr unschöne Eindruck, dass sich zwischen Lehrkräften und Eltern immer ein Gefälle auftat: sie oben, die Erziehungsverantwortlichen unten. Das schlug sich schon in der Grundschule in der Wahl der Sitzmöbel nieder. Während die Lehrkraft im Klassenraum vor ihrem Schreibtisch und auf einem ganz normalen Stuhl saß, hockten die Eltern wie Delinquenten auf den kleinen Kinderstühlchen der Klasse vor ihr. Sobald das Kind in  der dritten Klasse war, waren auch die für die Eltern aufgestellten Stühle entsprechend höher. Das Niveau des Lehrerstuhls wurde allerdings erst in der weiterführenden Schule ab der fünften Klasse erreicht. Ab dann saß man sich zwar Auge in Auge gegenüber, aber wenn die Lehrkräfte etwas am Arbeits- oder Sozialverhalten des Kindes zu bemängeln hatten, lag die Wurzel allen Übels selbstverständlich immer im Elternhaus. 

In der Grundschule hatte ich mal folgendes Erlebnis (verkürzt dargestellt): Der Vater des Kindes und ich saßen auf den Zweitklässler-Kinderstühlen, als die Klassenlehrerin sorgenvoll anmerkte, das Kind benehme sich merkwürdig. "Wie lange schon?" - "Seit ungefähr sechs Wochen." - "Warum haben sie sich nicht gemeldet? Wir wohnen neben der Schule und sehen uns doch fast täglich." - "Ich wollte nicht, dass Sie sich Sorgen machen."- "Die Erkenntnis, dass hier wochenlang etwas nicht rund läuft und ich nichts davon erfahre, macht mir Sorgen!" Statt darauf einzugehen, äußerte sie den pädagogisch wertvollen Hinweis, dass die Ursache des veränderten Verhaltens des Kindes sicher in den familiären Verhältnissen liege. Ja, na klar. 'Die familiären Verhältnisse' waren schon einige Jahre zuvor eingetreten, sollten aber jetzt als Ausrede dafür herhalten, dass die Klassenlehrerin schlicht keine Ahnung hatte, was mit dem Kind los war.
Der entscheidende Tipp kam von einer Erzieherin, die die Betreuung der Schulkinder nach Unterrichtsschluss übernommen hatte. "Ihr Kind langweilt sich in der Schule", beschied sie. Als ich das an die Klassenlehrerin weitergab, reagierte diese 'professionell': "Bei mir langweilt sich kein Kind", antwortete sie sichtlich pikiert. Das Kind hat kurz danach die Klasse verlassen und benahm sich dann wieder wie früher. Die Lehrerin hat mich ein Jahr lang nicht gegrüßt.  

In den höheren Klassen habe ich mir den Gang zum Elternsprechtag geschenkt. Ich war es schlicht leid, mir ein Urteil eines Lehrers über eines meiner Kinder anzuhören, der es nur zwei oder drei Stunden in der Woche sieht und erst mal in den mitgebrachten Listen blättern muss, um mir überhaupt etwas Belastbares sagen zu können. Manchmal hatte ich sogar den Eindruck, dass erst meine Hinweise meine Gesprächspartner auf die richtige Spur brachten, um welche Schülerin oder welchen Schüler es sich bei meinen Kindern handelte. Die meisten Lehrkräfte hatten außedem eine selbstgefällige Art, die mir als Mutter wohl deutlich machen sollte, wer hier das Heft in der Hand hielt. Mein Fazit war irgendwann: Wenn es wirklich etwas zu besprechen gibt, dann wird das in einem separaten Einzeltermin gemacht. 
Die oben genannte Journalistin hat die in Hamburg üblichen Lernentwicklungsgepsräche denn auch als Mumpitz bezeichnet. Dem schließe ich mich voll und ganz an. Und Anke Engelke vermutlich auch:

 

Kommentare

  1. Ich erinnere mich auch noch sehr gut an die (vielen) Elternsprechabende, als meine Kinder noch zur Schule gingen.
    In guter Erinnerung blieb eine Äußerung der Lehrerin meines Sohnes , als er in der 8. Klasse der Hauptschule war. "Ihr Sohn sondert sich ab und hat keinen guten Kontakt zu Jungs in seiner Klasse." So bemängelte die Lehrerin. Es stimmte, mein Sohn hatte Freunde eine Klasse tiefer und eine Klasse höher. Daheim habe ich ihn gefragt, ob er nicht auch mit Jungens aus seiner Klasse was unternehmen möchte. Er antwortete dahingehend, dass diese Jungs (fünf Stück, der Rest der Klasse waren Mädchen) in Geschäften und Supermärkten aus Spaß und Tollerei klauen. Da wollte er nicht mitmachen und suchte sich halt anderen Umgang, also "ehrliche" Jungens, die etwas jünger und etwas älter waren. Für mich war das ganz in Ordnung und ich lobte meinen Sohn, weil er solche gesetzwidrigen Dinge nicht mitmachte.
    Später erfuhr ich, dass der Lieblingsschüler der Lehrerin wegen Einbruch und Autodiebstahl verurteilt wurde. Ich war heilfroh, dass mein Sohn da nicht mitgemacht hat.
    Solche und ähnliche Geschichten von Lehrkräften, die irgendwie keine realistische Sicht auf die alltäglichen Dinge haben, könnte ich viele erzählen.
    Abgehakt, meine Kinder sind groß und nie mehr muss ich - klein auf einem Kinderstühlchen - vor einer selbstgerechten Lehrerin sitzen und mir Dinge anhören, die ich mit meinem gesunden Menschenverstand anders sehe.
    Danke für Deinen Beitrag, der mich doch glatt ein wenig in die Vergangenheit versetzt hat.
    Aufschlußreiche Grüße von der Pfälzerin

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    1. Ich habe hier auch nur einen winzigen Ausschnitt meines Erfahrungsspektrums gezeigt, das ich mir über den Besuch meiner Kinder an insgesamt einer Grundschule und vier weiterführenden Schulen verschiedener Schulformen angeeignet habe. Mal war es atmosphärisch halbwegs okay, meistens aber nicht. Ich habe das auch abgehakt, aber die Erinnerung kam beim Lesen des Artikels in der Zeitschrift wieder hoch - und das Schlimme daran ist, dass sich offensichtlich nichts geändert hat. Eltern wurden so lange positiv wahrgenommen, wie sie als Unterstützer von Schulveranstaltungen etc. agierten. Hatten sie abweichende Meinungen, war das nicht besonders erwünscht. Mir vorzustellen, dass meine Kinder, wenn sie denn mal Eltern werden sollten, dieselben Erfahrungen machen werden, macht mich nicht glücklich.
      Trotzdem optimistische Grüße von der Niedersächsin

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  2. Oh ja, die lieben Elternsprechtage. Ich glaube, die werden von Eltern und Lehrern gleichermaßen gehasst. Ich war in der Grundschule auch noch gewissenhaft. Bei den weiterführenden Schulen habe ich mich darauf beschränkt, diese 5 Minuten bei der Klassleitung abzusitzen. Man bekam die Notenliste aller Fächer vorgelegt. Durfte sich dazu äußern... Kannte die Noten eh schon. Sonst passte immer alles. Fazit: 1 Stunde Autofahrt für 5 Minuten Gespräch, meist mit 30 Minuten Wartezeit, weil grundsätzlich eine "Helikopter-Mutter" vor einem war, die den ganzen Betrieb aufgehalten hat :) Meine Kleinste wird dieses Jahr eingeschult. Da beginnt der Wahnsinn von vorne ;)

    LG
    Anja

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    1. Du hast für die nächste "Schulrunde" mein Mitleid. Ganz ehrlich und völlig ironiefrei. Zum Glück waren die Schulen meiner Kinder nicht so weit entfernt. Aber diese übereifrigen Mütter - in der Mehrzahl sind sie dort und nicht die Väter - habe ich auch erlebt. Sie haben das wichtigste Anliegen, beklagen sich aber, wenn andere Eltern, die vor ihnen dran sind, mehr Zeit benötigen.
      LG
      Ina

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