Krethi und Plethi wissen mehr als ich

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Viele Leute wissen mehr als ich, wahrscheinlich sogar die meisten. Aber manche - und das ist dann doch überraschend - wissen bessser über mich bescheid als ich selbst. Das sind dann diejenigen, die im Laufe eines zunächst dahinplätschernden Gesprächs plötzlich Sätze sagen wie: "Sie sollten mal...". Anstelle der drei Pünktchen setzt Ihr einfach einen "gutgemeinten" Rat ein. So wie die, über die ich jetzt schreibe.

Vor einiger Zeit kamen wir in einem Hotel mit einer Frau ins Gespräch, die sicher zwanzig Jahre älter war als wir. Wir unterhielten uns eine Weile über dies und das, als sie mitten im Gespräch das Thema wechselte: "Sagen Sie, darf ich Sie mal etwas fragen?" - "Na ja", antwortete ich, "das hängt von der Frage ab." Es war mir sonnenklar, in welche Richtung sich das Gespräch jetzt entwickeln würde, zu einem Zeitpunkt, an dem die Neugier der Dame über ihre höfliche Zurückhaltung die Oberhand bekommen hatte.
"Darf ich Sie mal fragen, warum Sie eine Gehhilfe benötigen?" Ich habe daraufhin die lange Geschichte, die ihren Anfang in den 1960-er Jahren genommen hat und von einigen Aufs und viel mehr Abs geprägt ist, auf ein oder zwei Minuten eingeschmolzen. Die meisten Menschen sind dann zufrieden und nicken wissend (und manchmal auch mitfühlend) mit dem Kopf. Mir ist diese Fragerei unverständlich, aber ein paar klärende Sätze zu sagen, ist für mich kein Problem.

Diese Dame war aber noch nicht zufriedengestellt. "Meinen Sie nicht, es wäre besser für Sie, einen Rollator zu benutzen?" Zack, da war er draußen, der "gute" Rat. Und an meinen Mann gewandt: "Oder ist Ihre Frau dafür zu eitel?" Mein Mann hob die Augenbrauen, schüttelte den Kopf und erwiderte: "Wohl kaum." 
Ich verkniff mir den ersten Impuls, genervt mit den Augen zu rollen (WARUM EIGENTLICH??) und erklärte mit ein paar Sätzen, warum ich mir mit dem Rollator (im Augenblick) eher schaden als nutzen würde. Die Dame nickte verstehend und wir verabschiedeten uns. Doch schon, als sie mich am nächsten Morgen beim Frühstück sah, kam sie an unseren Tisch und sagte: "Wissen Sie, ich habe nochmal darüber nachgedacht. Sie sollten wirklich einen Rollator benutzen!" - "Nein", entgegnete ich knapp. Ich fand, dass allerspätestens jetzt dieses Thema zur Genüge durchgehechelt worden war. Doch sie ignorierte meinen Einwand und strahlte: "Und wenn wir uns hier das nächste Mal sehen, gehen Sie am Rollator".

Wenn sich nicht einer von uns bis dahin die Radieschen von unten anguckt, werden wir uns tatsächlich Ende Dezember an derselben Stelle wieder über den Weg laufen. Es wäre möglich, dass sich dann meine gute Erziehung ein Stück weit verabschiedet, wenn sie mir wieder mit ihren Ratschlägen den Nerv tötet. 

So etwas passiert mir immer mal wieder. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Flohmarktbesuch in der Altstadt von Hannover: Ich war an einem der Stände stehengeblieben, um mich dort umzusehen, als mich der Standinhaber von oben bis unten musterte und mich dann ansprach: "Ich könnte Ihnen einen guten Arzt empfehlen, der Ihnen helfen kann. Das kann doch nicht so bleiben!"
Das ist schon sehr lange her, und ich war damals noch nicht plietsch genug, um dem Mann eine passende Antwort zu geben. 

Ich kann mich in diese Leute überhaupt nicht hineinversetzen. Wenn ich an einem Menschen eine Behinderung sehe, bin ich, ohne ihn näher zu kennen, überhaupt nicht in der Lage, seine Situation zu beurteilen oder gar zu bewerten. Mit dem, was der Flohmarktverkäufer an mir wahrgenommen hat, wären außer meinem tatsächlichen Problem auch ein kaputter Rücken, ein Schlaganfall, Polio, ein Nervenleiden oder eine schlecht sitzende Beinprothese infrage gekommen. Und: Warum kann man sich nicht einfach entspannt in der Öffentlichkeit aufhalten, ohne von distanzlosen Besserwissern belästigt zu werden?

Dem nächsten hilfsbereiten Menschen, der mir seine nicht erbetenen Tipps unter die Nase reiben will, werde ich an einem meiner schlechten Tage möglicherweise einfach mit "Schnauze!" antworten oder, sollte ich gut drauf sein, so etwas wie: "Ich habe da auch eine Menge Ratschläge für Sie! Käffchen?", entgegenflöten. Man wird sehen.

Kommentare

  1. Ich kann mich gut in Deine Situation hineinversetzen. Mich nerven solche Besserwisser auch. Es wäre doch eine Option, wenn Du die Dame mal wieder triffst, zu fragen: "Warum haben Sie solch eine unmögliche Frisur? Sie sollten Ihre Haare ... offen oder blond oder dunkel ... tragen, damit sie nicht so alt wirken." Haha, dann möchte ich deren Gesicht mal sehen.
    Liebe Ina, auch wenn Du Dich über solche Menschen ärgerst, nimm es dennoch nicht zu schwer, denn man kann sie eh nicht ändern. Bewahre Deine positive Lebensauffassung und sei Dir bewusst, dass Du sehr gut selbst entscheiden kannst, was gut für Dich ist und was nicht.
    Keine besserwisserischen Grüße, sondern freundliche Grüße von der Pfälzerin

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    1. Vielen Dank für Deinen Zuspruch. Ja, mir gehen diese Menschen so richtig auf die Nerven, und wahrscheinlich meinen sie es auch nur "gut".
      Liebe Grüße von der Niedersächsin

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  2. Ach Ina, ich kann das alles sehr gut verstehen. Letztens fiel mein Blick auf ein Gutachten über mich, was per Aktenlage von einem "Jobcentermitarbeiter" erstellt wurde, weil dafür auf Hausarztakten zugegriffen werden durfte, die mich selbst kaum noch zu Gesicht bekommen haben, weil sie nicht Willens oder in der Lage waren eine Diagnose zu erstellen oder geschweige denn mir zu helfen. Ich könnte gerade vor lachen schreien und was auch immer aber letzte Woche bekam ich die Diagnose "angeborene" Patelladeformität im rechten Knie. Schmerzen und Probleme hab ich seit gefühlt 45 Jahren. Seit 2010 ist mir vor Rückenschmerzen übel, weil die gesamte Statik nicht mehr stimmt und es gab neurologische Ausfallserscheinungen im rechten Bein und zeitweise im ganzen unteren Bereich. Ich saß auf einer Treppe weil ich auf einmal nicht mehr hochgekommen bin, da ich meine Beine nicht mehr gespürt habe. Nach Monaten treffe ich auf einen Orthopäden, der mich ernst genommen hat und mir geholfen hat. Am 19.02. hätte ich wieder einen Termin bei ihm gehabt und genau an diesem Tag ist er gestorben. Warum??? Mag Theatralisch klingen aber ich will damit nur sagen, dass es verdammt wenige Menschen gibt, die helfen können, wenn man mit seinen Beschwerden aus der Reihe tanzt und es umso mehr Quacksalber gibt, die ales bessser wissen.

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    1. Liebe Chris, das, was Du schreibst, schockiert mich. Nicht nur wegen des Todes des Orthopäden. Mit Ärzten habe ich auch sehr unschöne Erfahrungen gemacht; nict zuletzt waren es ärztliches Versagen und jede Menge Arroganz, die mich da hin gebracht haben, wo ich medizinisch betrachtet jetzt bin. Aber so schwer es oft auch fällt: Halte die Nase immer oben und lass Dich nicht unterkriegen. Das liest sich wie eine Plattitüde, aber letztendlich geht es nur mit einer solchen grundsätzlichen Haltung weiter. Was mir beim Lesen Deines Kommentars noch durch den Kopf gegangen ist, schreibe ich Dir in einer separaten Nachrcht. LG

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  3. Oh je... Meistens sind diese Besserwisser so beseelt von ihrer Mission, dass sie selbst Ratschlägen gegenüber imprägniert sind. Habe ich neulich bei meiner Nachbarin festgestellt, die auch immer glaubt, mich in alle Lebenslagen schulmeistern zu müssen, dies im Gegensatz bei sich aber überhaupt nicht duldet. Der hab ich bei der letzten Gelegenheit einfach mal gesagt "N Scheiß muss ich." Dann war Ruhe. Und mein inneres Teufelchen hat eine Extrarunde ums Feuerchen getanzt.
    Einfach mal frech sein. Vielleicht merkt's der eine oder andere dann und hält mal selbst die Luft an.
    LG
    Sandra

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    1. Liebe Sandra, da hast du völlig recht. Aber leider bin ich manchmal von so viel Kaltschnäuzigkeit zu perplex, um diesen Leuten das Passende um die Ohren zu hauen.
      LG
      Ina

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