Ich gehöre zu den "Best Agern"

Schon wieder so ein dusseliger Marketingbegriff, der
nicht nur mir, sondern allen über 50-Jährigen suggerieren soll, sich in den besten Jahren ihres Lebens zu befinden. Auf dem Blog Vorunruhestand von Helmut Achartz bin ich auf seinen Beitrag gestoßen, in dem er die Messen, die dieses Jahr im deutschsprachigen Raum für Menschen ab 50 stattfinden, auflistet. 23 immerhin, nur zwei davon in Norddeutschland: in Bremen und bei Hannover. Den lästerlichen Spruch, der mir jetzt auf der Zunge liegt, behalte ich lieber für mich.

Bevor ich das gelesen habe, habe ich gar nicht gewusst, dass es für Menschen meines Alters eigene Messen gibt. Ich wäre auch nicht auf die Idee gekommen, danach zu suchen. Messen sind ja dazu da, sich einer bestimmten Zielgruppe zuzuwenden: In Hannover finden zum Beispiel Messen statt, die sich an Pferde- und Jagdliebhaber, an Experten für Wohntextilien oder Menschen, die sich für Landmaschinen interessieren, richten. Für die "Best Ager" gibt es hier keine; sie sind in eine der größeren Messen integriert worden; dort wird in jedem Herbst eine ganze Reihe unterschiedlicher Zielgruppen angesprochen. Ganze Familien pilgern dorthin, vom Säugling bis zum Greis.

Ich habe mir ein paar Fotos angesehen, die auf diesen Spezialmessen für Menschen wie mich gemacht worden sind. Da geht es unter anderem um "tragbare Mode"; ein Anspruch, den ich schon mit 20, 30 und 40 an meine Klamotten gestellt habe. Warum muss das jenseits der 50 extra betont werden? Daran hat sich für mich nichts geändert, als erstmals eine 5 die Zehnerstelle meiner Altersangabe bestimmte. Letztlich bestimme ich selbst, was ich für tragbar halte. Das, was ich auf den Fotos einer Modenschau einer der Best-Ager-Messen gesehen habe, gehörte auf keinen Fall dazu.

Ich gucke weiter und sehe: Inkontinenzhosen, Schuheinlagen, irgendwelche geheimnisvollen Trinkgels, Stände von Firmen, die ich schon auf Messen für Behinderte gesehen habe (Prothesen, Rollstühle, E-Scooter usw.), Matratzen, Gesundheitsdienstleistungen, Bauunternehmer (die Zahl der Badezimmer, die darauf warten, barrierefrei zu werden, ist riesig). Das meiste, was da gezeigt wird, könnte direkt in eine Messe für Körperbehinderte transferiert werden. Das ist es, was die Messemacher und Aussteller in meiner Generation sehen: Eine von Immobilität und Krankheit bedrohte oder schon betroffene Zielgruppe, der man möglichst zügig zeigen muss, was der Markt so hergibt, um der fortschreitenden Vergreisung möglichst effektiv entgegenzuwirken. Ach ja: und ihr Erspartes am besten umgehend in Senioren-Komfort zu investieren. Prävention war ja schon immer besser als Reaktion, oder?

Was ich nicht sehe, sind Vorschläge und Hinweise, wie Menschen auch noch im höheren Alter geistig fit bleiben können. Denn: Wenn ich selbst vor der Entscheidung stünde, entweder
  • bei halbwegs funktionierendem Verstand 85 Jahre alt zu werden oder
  • den 90. Geburtstag im geistigen Nirwana zu begehen,
müsste ich nicht überlegen. 

Was es auf diesen Spezialmessen auch nicht gibt: technische Lösungen, die den Zugang zu Informationen oder Unterhaltung deutlich vereinfachen. Wer wegen Seh- oder motorischen Problemen nicht in der Lage ist, an seinem Fernsehgerät schnell und einfach die Angebote der Mediatheken der Sender aufzurufen und auszuwählen, lässt es nach ein paar Fehlversuchen ganz sein. Das ist nur ein Beispiel von vielen.

Ich habe auch nachgesehen, ob sich Wikipedia etwas unter einem "Best Ager" vorstellen kann. Ja, und zwar heißt es in dem entsprechenden Artikel ziemlich zu Beginn: "Unklar ist bei vielen der genannten Begriffe, ob die Zeit der „besten Jahre“ erst mit dem Tod oder bereits weit vorher (z. B. mit der Pensionierung und dem damit meist verbundenen Einkommensverlust) endet." Ja, ihr Marketingmenschen, das ist mir auch unklar geblieben. 

Und überhaupt: Wie kommt man eigentlich darauf, dass die Jahre ab 50 die besten sind? Ich denke mal zurück und fand im Großen und Ganzen meine Kindheit nicht schlecht. Der Berufseinstieg danach war eine spannende Phase, noch vor dem Ende der Ausbildung hatte ich eine Stelle in Südhessen, die sich als die beste meines ganzen Berufslebens entpuppen sollte. Und dann? Mit 27 bin ich zum ersten Mal Mutter geworden, gut eineinhalb Jahre später zum zweiten Mal. Meine beiden wichtigsten Menschen sind seitdem da; wie kann eine spätere Lebensphase dagegen "anstinken"? 

In jedem Lebensabschnitt gab es Höhen und Tiefen. Mal hatten die Höhen die Nase vorn, mal triumphierten die Tiefen. Das ist normal für das gesamte Leben und nicht nur für eine Phase. Die Best-Ager-Messen werden mich ganz sicher nicht sehen, aber andere Messen wie z. B. Reha- und Mobilitätsmessen. Da gibt es glücklicherweise auch keine hanebüchenen Wunderdrinks, sondern sinnvolle Lösungen für tatsächlich existierende Probleme.


So sieht er aus, der "Best Ager" ;-)

Kommentare

  1. Mir fällt ein Spruch ein: "Man ist so alt wie man sich fühlt." Ganz sicher brauche ich keine Messe, die mir zeigt, was mich als sogenannter Best Ager erwartet. Meine Vorbilder sind Leute, die älter sind als ich und die eine positive Lebenseinstellung haben oder hatten.
    Ich habe auch keine Ambitionen, ewig jung zu bleiben. Jedoch kann ich sechzig Jahre Lebenserfahrung nachweisen. Junge Leute machen Fehler und lernen daraus. Mit dem Alter wird man weiser und ruhiger. Das heißt nicht, dass man dann nicht mehr das Leben genießen kann. Nein, Messen können für mich keine Lebensqualität verbessern. Sie sind nur Mittel zu mehr Umsatz und wen das interessiert, der kann sich dort informieren.
    Ein wenig verlasse ich mich auf mein Bauchgefühl. Vielleicht kommt eines Tages eine Zeit, in der ich von anderen gepflegt werden muss. (Hoffentlich nie!) Dann ist das eben so. Kein Wunderdrink und keine (teure) Behandlung können das verhindern.
    Bis dahin genieße ich das Leben aus vollen Zügen und anstelle auf überfüllte Messen gehe ich raus in die Natur und erfreue mich an dem was wächst und blüht und atme reine Luft in meine Lungen.
    Vielen Dank für diese heutige Anregung, die mir zeigt, dass man nicht alles mitmachen muss, was so veranstaltet wird.
    Optimistische Grüße von der Pfälzerin

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    1. Liebe Pfälzerin, wir sind uns da - wieder mal - völlig einig. Ich empfinde diese Veranstaltungen auch nur als Geldschneiderei indem mit den Ängsten vor der Zukunft gespielt wird.
      Liebe Grüße von der Niedersächsin

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  2. Was soll ich sagen??
    Es stimmt alles und als Kölner fühle ich mich hier sehr gut vetreten .
    Herzlichen Gruß an die Pfälzerin!
    Et kütt wie et kütt un es noch immer joot jejange...
    ☺🙄😏😏😏

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    1. Ich schließe aus deiner Antwort, dass du von diesen Messen auch nicht viel hältst, oder?

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    2. Du sagst es... !!
      😏😏🙄

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