Programmchefin gesucht?

Seebrücke von Ahlbeck/Usedom
Es hat vor zwei oder drei Jahren mal eine Phase gegeben, da habe ich mir immer dann, wenn ich mich im Freundeskreis verabreden wollte, angehört: "Überleg du doch bitte, was wir machen. Ich habe gar keine Idee, was man so unternehmen könnte." Bitte? Wir leben vor den Toren einer Großstadt, da kann man eher unter zu vielen als zu wenigen Möglichkeiten wählen. Ich habe das damals zuerst gar nicht gemerkt, aber als mir es dann aufgefallen war, dass sich das häufte, habe ich mich insbesondere bestimmten Leuten gegenüber geweigert, das Eventbüro zu geben.

Den Vogel hat allerdings mal eine Schwäbin abgeschossen, die ich in einer Reha-Klinik auf Usedom kennengelernt hatte. Wir sind am selben Tag angereist und E. und mir wurden im Speisesaal Plätze am selben Tisch zugewiesen. Damit nahm das Unheil seinen Lauf. Für mich wenigstens. Diese Frau hatte einen Narren an mir gefressen; warum das so war, dafür habe ich bis heute keine Erklärung. Sie checkte, wann wir gemeinsam zwischen den Behandlungen Pausen hatten und lauerte mir förmlich auf, um diese Zeit mit mir zu verbringen. Wer hier schon ein bisschen mitgelesen hat und meinen Bücherblog kennt, weiß, dass ich sehr gern und sehr viel lese. Bücher, Zeitungen... was mir eben so zwischen die Finger kommt. Als ich nun im Foyer über die Tageszeitung gebeugt in einem der Sessel saß, setzte sie sich direkt neben mich und sah mich an. Ich ignorierte sie. Nach ein paar Minuten: ein Räuspern von der Seite. Ich las weiter. Dann, nach weiteren Minuten, eine missmutige Äußerung von E.: "Dass Du aber auch dauernd lesen musst!" Ich war weit davon entfernt, mich schlecht zu fühlen.

Es war Sommer, ich hatte ein Fahrrad dabei, mit dem ich oft unterwegs war. Eines Abends saß ich auf einer Bank, als E. näher kam. Schweigend nahm sie neben mir Platz und sah mich an. Ich hasse solche Situationen. Können sich manche Leute nicht einfach klar äußern? Nach einiger Zeit dann: "Du, wollen wir nicht ein bisschen Fahrrad fahren?" Ich: "Ich habe dir schon beim Essen gesagt, dass ich mein Buch lesen will. Fahr einfach ohne mich oder frag jemand anders." Stille. Ein paar Augenblicke später dann ein neuer Anlauf: "Hast du es dir überlegt?" Ich: "Ja, schon vorhin beim Essen. Es hat sich nichts geändert." Beleidigte Stille. Dann ein neuer Versuch, etwas insistierender: "Ach, nun sei doch nicht so! Wir können doch ein bisschen rumfahren!" Es hätte nur noch gefehlt, dass diese zehn Jahre ältere Frau einen Fluntsch zieht! Die ganze Situation wurde immer kindischer. "E., ich kann dir nur empfehlen, deine Zeit nicht auf dieser Bank zu vergeuden, wenn du Fahrrad fahren willst." Danach zog sie eingeschnappt ab. Meine gute Laune hatte in der letzten halben Stunde gelitten. Als ich dann noch zum Strand ging, kam sie mir auf dem Rückweg entgegen: "Du warst am Strand? Warum hast du denn nichts gesagt? Wir hätten doch zusammen gehen können!" Wie kommt es, dass manche Leute nicht merken, dass ihre Aufdringlichkeit bei ihren Mitmenschen höchstens semi-gut ankommt?Und ich war nicht mal besonders nett zu ihr.

Ihre Dauerfrage war: "Was machen wir denn heute Abend?" Ich bin sicher das Gegenteil eines Soziopathen, aber ständige Gesellschaft von Menschen, erst recht von solchen, für die ich die Programmverantwortliche sein soll, geht mir auf die Nerven. Ich kann sehr gut allein sein. 
Wenn wir am Wochenende genug Zeit für längere Radtouren hatten, war ihre erste Frage, bevor wir starteten: "Hast du dir überlegt, wohin wir fahren?" Ja, hatte ich, denn im Gegensatz zu ihr hatte ich mir schon zu Hause einen Reiseführer gekauft, um mir gezielt die Sehenswürdigkeiten der Insel anzusehen. Sie nicht. Sobald sich Gesprächspausen ergaben, wurden sie mit Heldensagen über ihre Söhne und ihren Mann aufgefüllt.
Nach drei Wochen war ihre Reha vorbei, ich hatte eine Woche Verlängerung bekommen. Zum Abschied sagte sie euphorisch: "Wir müssen uns unbedingt wiedersehen! Du bist so eine Tolle!" Ich habe darauf nicht reagiert und sie bis heute nicht mehr getroffen. Ich will das auch nicht. Nicht jetzt und auch nicht in Zukunft. Schlafende Hunde soll man nicht wecken.

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