Aufregung mit Verzögerung

Herzschrittmacher
Habt Ihr von den Implant Files gehört oder gelesen? Investigativjournalisten haben aufgedeckt, wie unsicher viele Medizinprodukte sind. Dabei geht es nicht um Pillen, Salben oder Dragees - das sind Medikamente. Medizinprodukte sind Herzschrittmacher, Endo- und Exoprothesen oder auch Skalpelle und Endoskope. Ich bin sehr interessiert, wenn darüber geschrieben wird, weil ich selbst seit mehr als dreißig Jahren Medizinprodukte mit mir herumtrage. Glücklicherweise bislang ohne Komplikationen. Aber wenn ich ehrlich bin, ist mir schleierhaft, warum gerade jetzt diese Aufregung losbricht: Schon vor vier Jahren hat ARTE eine Doku gesendet, in der es um genau das ging, nämlich die fehlerhaften und schludrigen Zulassungsverfahren von Endoprothesen und Herzschrittmachern. Das Video mit dem Titel Medizinprodukte - Schrott im Körper ist über den Sender leider nicht mehr verfügbar, jedoch bei Youtube leicht zu finden. Die Reporter haben sich damals ohne irgendwelche medizinischen Vorkenntnisse Daten einer Hüftprothese aus dem Internet geholt, sie ein bisschen verändert und einem zugelassenen Prüflabor geschickt, das das geforderte CE-Siegel vergeben darf. Sie haben sich das "Labor" dann mal vor Ort genauer angesehen und erlebten eine beispiellose Inkompetenz und Gleichgültigkeit. Fazit war schon damals: Wenn man 5.000 Euro überweist, ist das positive "Gutachten", auf dessen Grundlage man ein Medizinprodukt auf den Markt bringen darf, so gut wie geschrieben und das CE-Siegel kein Problem mehr. Ich weiß noch, dass ich direkt im Anschluss an den Film meinen Prothesenpass rausgekramt und nachgesehen habe, ob eine meiner Prothesen aus derselben Charge stammt wie die in der Doku. Glücklicherweise nicht, aber es war derselbe Hersteller.

Ich hoffe, dass die u. a. in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Fakten Konsequenzen haben. Wenn ich die Namen derer lese, die das für Patienten schädliche System befördert haben, schwillt mir der Hals. Darunter ist auch ein ehemaliger Bundesgesundheitsminister, der seit über zwanzig Jahren der Synode der EKD angehört und in einem evangelischen Monatsmagazin den Satz "Ich weiß mich von Gott getragen" gesagt hat. Welches christliche Menschenbild hat der Mann, dass er solch eine Skrupellosigkeit gedeckt hat? Ich bin kein Kirchenmitglied mehr, aber wenn ich so etwas lese, denke ich, Leute wie er sollten da hochkant hinausgeworfen werden. 

Das, was da viele Jahre zu Lasten von Patienten passiert ist, wird nicht nur den Ruf der Hersteller von Medizinprodukten ruinieren, sondern der Medizin insgesamt. Es wird alles in einen Topf geworfen werden, und auch Ärzte, die damit nicht mal ansatzweise etwas zu tun haben, werden sich Vorwürfe anhören müssen. Die Glaubwürdigkeit der Medizin insgesamt ist beschädigt. Und das wahrscheinlich für lange Zeit.

Kommentare

  1. Ich habe kein großes Vertrauen in die Medizin. Dafür habe ich mit meiner Familie schon zu viele negative Sachen erlebt. Zu viele möchten an unseren Erkrankungen mitverdienen. Mein Mitleid gilt allen, die von schlechten oder schadhaften Medizinprodukten geschädigt wurden. Hoffentlich komme ich nie in die Situation, so etwas zu brauchen.
    Traurige Grüße von der Pfälzerin

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    1. Ich habe beides erlebt: Empathie und große medizinische Kompetenz ebenso wie Kälte und Nichtskönnertum. Wie überall sollte man aufpassen, nicht alle über einen Kamm zu scheren. An dem Missstand, der jetzt und eben auch schon vor Jahren veröffentlicht wurde, sind eindeutig die Hersteller und die Politik schuld.
      Verhalten optimistische Grüße von der Niedersächsin

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