"Hey, Mamis!" - Geht's noch?

Wer sich in diesem Blog schon ein bisschen umgesehen hat weiß, dass ich zwei erwachsene Kinder habe. Sie sprechen mich mit "Mama" oder auch "Mam" an. Das ist so in Ordnung, hier gehört diese Anrede auch hin.

Als mein älteres Kind 1997 in den Kindergarten kam, war das für es ein Schritt, der dazu beitrug, selbstständiger zu werden und sich ein Stückchen abzunabeln. Auch das soll so sein. Zum ersten Mal zusammengezuckt bin ich damals, als die Leiterin des Kindergartens einen Termin - vermutlich einen dieser unsäglichen Bastelabende, die noch schlimmer waren als die Elternabende - verkündete und so etwas in der Art von "Die Muttis bringen bitte xyz mit" sagte. Alles mit einem strahlenden Rundumblick, damit sich auch jede anwesende Frau, deren Kind diese Einrichtung besuchte, angesprochen fühlte. Die Muttis! Ich dachte, ich spinne. Als ich mit der Leiterin das erste Mal etwas unter vier Augen besprach, habe ich mich mit "Ich bin die Mutter von F." vorgestellt. Das Signal hat sie verstanden, denn mir gegenüber hatte sie sich dieses Eiteitei-wir-haben-uns-alle-lieb-Gedöns in den nächsten Jahren verkniffen.

Jetzt, 20 Jahre später, sehe ich, dass es eine Flut von sogenannten "Mami-Blogs" gibt. Klar, ihr Bloggerinnen, die ihr selbst so einen habt, für eure Kinder seid ihr die Mami. Das ist ein Kosewort. "Mami", "Mutti" oder "Mama" eignen sich aber nicht dafür, mit anderen Erwachsenen auf Augenhöhe zu kommunizieren - außer mit denen, die sich selbst als "Mami" bezeichnen. Die erwachsene Frau rutscht als öffentliche "Mami" in der Wahrnehmungsleiter nach unten ab, in Richtung ihres Kindes. "Mami" hat so etwas Niedliches und Kuscheliges. Wenn man von anderen Erwachsenen ernstgenommen werden will, dann nicht als niedliche "Mami". "Schnucki" oder "Hasi" sind auch Koseworte; würdet ihr, die ihr euch vor aller Welt als "Mamis" bezeichnet, denn so angesprochen werden wollen? 

Die Journalistin Fee Zschocke hat sich schon vor 30 Jahren in einer Kolumne in einer bekannten Frauenzeitschrift über die Metamorphose ausgelassen, die Frauen erleben, sobald sie ein Kind zur Welt gebracht haben. "Das Mutti" heißt ihr Artikel, und schon er beschreibt, dass da ruckzuck eine Frau zu einem Neutrum wird, und zwar von einem Augenblick zum anderen. Ein Neutrum, das sich plötzlich nicht mehr für das interessiert, was ihm (oder ihr?) bis zum Tag der Niederkunft wichtig war - und das völlig unabhängig vom Bildungsstand. Das Kümmern ums Kind ähnelt oft dem Tanz ums goldene Kalb und mündet gern in 110-prozentige Selbstaufgabe - und das schon, wenn es um nur ein einziges Kind geht, das kerngesund geboren wurde und außer den üblichen Nickeligkeiten auch gesund bleibt; das ist in diesem Land glücklicherweise der Normalfall.

Kürzlich ist mir ein Artikel untergekommen, der in diesem Jahr in einer schweizerischen Tageszeitung veröffentlicht wurde. Die Autorin schrieb darin über den dortigen Trend, schon eine schwangere Frau zu etwas Sächlichem zu machen: Kaum steht der Geburtstermin fest, wird der Mensch, der bislang eindeutig weiblich und somit eine Frau war, zu "das werdende Mami". Ist das Kind da, wird "das Mami" daraus, na klar. Da schwingt das Rollenbild der Mitmenschen mit, dass sich diese Unterart des Homo sapiens sapiens rund um die Uhr völlig selbstlos und aufopferungsvoll um den Nachwuchs kümmert. Von "das Papi" habe ich noch nie etwas gehört, obwohl so ein Baby ja nun nicht vom Himmel fällt und die jungfräuliche Empfängnis in der Weltgeschichte einmalig war. Offenbar ist die Erwartung, die die Gesellschaft an die männliche Menschheitshälfte hat, in dieser Hinsicht eine andere. Die Kindergartenleiterin von damals hat auch nie von "den Vatis" gesprochen.

Es soll ja auch immer noch Familien geben, in denen der weibliche Teil des Elternpaares vom männlichen ebenfalls mit "Mutti" oder "Mama" angesprochen wird. Ich habe das als Kind vor Jahrzehnten innerhalb meiner Verwandtschaft mal mitbekommen und schon damals gedacht: "Das ist doch seine Frau, die einen Vornamen hat!" Ehrlich, liebe Mütter, das ist völlig indiskutabel. Lasst euch doch nicht auch noch von euren Männern auf die Mutterrolle reduzieren. Sie ist nur eine von vielen, die euch ausmacht und zu besonderen und einzigartigen Frauen werden lässt. 
Für eure Kinder seid ihr ihre Mamis oder Muttis oder was auch immer. Für den Rest der Welt seid ihr Mütter und Frauen, wenn ihr wollt, dass ihr auf Augenhöhe behandelt werden wollt. Macht euch nicht selbst klein und "niedlich".

Kommentare