Das sagt man nicht mehr

Heute ist ein Tag, an dem ich mein Selbstbild ein kleines Stück gerade rücke. Der Grund: Ich las einen Artikel über die Veränderung von Sprache, in dem Beispiele für Wörter aufgeführt waren, die heute nicht mehr gebräuchlich sind. Während des Lesens habe ich mich an Gespräche erinnert, die meine Eltern früher geführt haben. Sie wurden in den 1920-er Jahren geboren; als ich ein Kind war, war über viele Dinge, die in ihrer Jugend üblich und normal gewesen waren, schon die Geschichte hinweggegangen. Unverdrossen sprachen sie zum Beispiel über die Reichsbank, meinten aber die Bundesbank. Wenn ich sie darauf hinwies, dass es schon eine ganze Weile keine Reichsbank mehr gab, sagten sie "Ja ja, aber das sagten wir früher nun mal!". Ähnlich war das mit dem Begriff "Volksschule". Darunter verstand man zur Zeit meiner Eltern eine achtjährige Schuldauer, die jedes Kind durchlaufen musste. Wenn man die Schule danach verließ, hatte man mit in der Regel 14 Jahren seine Schulpflicht erfüllt. Eine weiterführende Schule zu besuchen war möglich, aber in einem Dorf wie dem, in dem sie aufgewachsen sind, nicht üblich. Bei uns zu Hause war dann später, wenn "Volksschule" gesagt wurde, "Grundschule" gemeint. Dass die nur vier Jahre dauerte, spielte da keine Rolle.

Als ich vor über zwanzig Jahren in den Ort zog, in dem ich noch heute wohne, habe ich mich zu Anfang in Gesprächen mit Leuten, die hier bereits seit Langem lebten, gefragt, wo denn dieser "Schaper" sein könnte. Aus dem Zusammenhang war klar, dass es sich um ein Geschäft handeln musste, aber einen Laden mit diesem Namen gab es hier nicht. Ich wurde dann darüber aufgeklärt, dass das jetzt ein "extra"-Supermarkt ist; den kannte ich. Diejenigen, die schon den Schaper-Laden gekannt haben, sagen das heute immer noch. Mittlerweile gibt es den "extra"-Laden schon seit etlichen Jahre nicht mehr. Als er schloss, zog eine Sonderposten-Kette ein, danach nutzte ein Discounter das Gebäude, um die Artikel unters Volk zu bringen, die er vorher bei seinen Angebotsrunden nicht los geworden war. Jetzt ist dort ein anderer Sonderpostenmarkt.

Mit einem Affenzahn über die Autobahn fahren.
Mich hat es früher amüsiert, dass Menschen auch nach langer Zeit Begriffe benutzten, die gewissermaßen untergegangen waren. War das arrogant? Ja, ein bisschen bestimmt. Das ist mir durch den Artikel klar geworden, in dem etliche unüblich gewordene Begriffe aufgezählt wurden. Es ging los mit "Affenzahn". Ich sage das ab und zu, wenn ich erzähle, dass jemand im hohen Tempo eine Straße entlang gefahren ist. 
Bei "Blockbuster" habe ich zuerst gestutzt: Damit waren im 2. Weltkrieg große Luftminen gemeint, die ganze Häuserblöcke in Schutt und Asche legten. Heute wird das Wort für Kinofilme verwendet, die beim Publikum so richtig "einschlagen". Von der alten Bedeutung wusste ich bislang nichts, und ich glaube, ich werde das Wort in der neuen Bedeutung jetzt nicht mehr sagen. Das käme mir reichlich zynisch vor. Also ist "Blockbuster" nicht wirklich untergegangen, sondern wurde gewissermaßen recycelt.

Der Mulm, der aufgewirbelt wird.
Der Text enthielt noch so einige Wörter, die ich bislang für ganz gebräuchlich gehalten hatte. Mulm und Muckefuck gehörten dazu. Ist das der Einstieg, bevor man zu den ewig Gestrigen gezählt wird? Ich fühle, dass der Tag näher kommt, an dem sich meine Kinder über mich und meine Wortwahl amüsieren und sich leise zuraunen: "Na ja, Mama ist ja jetzt auch eine alte Schachtel..." 😉

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