Zurück zu den Wurzeln?


Ich bin heute über einen Beitrag von Seppo gestolpert. Ich gucke immer mal wieder in seinem Blog vorbei und heute las ich, dass er mit seiner Frau von Düsseldorf zurück in seine Heimatstadt Münster ziehen will. Der Text wirkte geradezu euphorisch und er beschrieb, worin sich Münster positiv von der Großstadt am Rhein unterscheidet. Zehn Jahre hatten die beiden in Düsseldorf gelebt und Seppo betrachtet die Entscheidung, in Düsseldorf zu leben, rückblickend als Fehler.

Ich lebe schon lange nicht mehr in der Stadt, in der ich aufgewachsen und zur Schule gegangen bin. Der Vergleich zwischen Seppo und mir mag auf den ersten Blick hinken: Von Düsseldorf bis nach Münster sind es etwa 130 Kilometer, von meinem jetzigen Wohnort und dem, von dem ich vor ungefähr 30 Jahren weggezogen bin, nur um die 30. Zwischen den beiden Orten befindet sich Hannover. Aber darauf kommt es auch nicht an. Der grundlegende Unterschied zwischen ihm und mir ist: Er hat beim Anblick von Münster Heimatgefühle und in seinem Kopf tauchen Erinnerungen von früher auf, die er mit dem Heute positiv verknüpfen kann. Kurz: Er erkennt den Ort wirklich als den wieder, den er mal verlassen hat. 

Das ist fast genau das Gegenteil von dem, was ich empfinde, wenn ich mal in meiner Heimatstadt bin. Das ist selten, denn es gibt so gut wie nie einen Anlass, dorthin zu fahren. Meine Eltern sind nicht mehr dort, meine besten Freunde auch nicht. Auch atmosphärisch hat sich einiges getan: Der Ort hatte früher etwas Ländliches und Gemütliches an sich. In der Straße, in der ich als Kind gewohnt habe, war auf der einen Seite eine Kuhweide. Den Zaun haben wir damals leicht überwunden, und so war die große Fläche für uns Kinder ein beliebter Spielplatz. Die Kühe hatten sich an uns gewöhnt und betrachteten unser Treiben eher gelangweilt. Heute ist dort eine Grünanlage, die 'Bürgerpark' heißt. Alles ist ordentlich geplant, man geht auf den vorgesehenen Wegen, ein Spielplatz macht deutlich, wo Kinder toben dürfen. 
Vor ein paar Jahren las ich in der Zeitung, dass meine Heimatstadt etliche denkmalgeschützte Häuser hat abreißen lassen. Der Autor des Artikels war darüber empört, dass das quasi klammheimlich passiert war, so nach dem Motto "Was weg ist, ist weg und wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter". Dort wurden moderne Häuser gebaut, die auf mich gesichtslos wirken und so in jeder beliebigen anderen Stadt stehen könnten.

© Richard Hoffmann/pixelio.de
Ich habe mich kürzlich mit meiner Freundin, mit der ich zusammen dort zur Schule gegangen bin, über diese Entwicklung unterhalten. Wir waren uns beide darin einig, dass uns rein gar nichts zurückzieht und wir immer weniger wiedererkennen. Das Gefühl von Heimat bleibt bei uns aus. Die Stadt, die wir mal als 'unsere' Stadt empfunden haben, hat kein Gesicht und keine Ausstrahlung mehr. Dort, wo es früher freie Flächen gab, stehen Gebäude mit glatten Fassaden - Glas, Beton und Klinker. Die alten Fachwerkhäuser verschwinden ebenso aus dem Stadtbild wie die kleinen, inhabergeführten Geschäfte. Der Ort bietet von außen betrachtet eine ganze Menge: Schulen, ein nagelneues Freizeitbad, kulturelle Einrichtungen und sogar einen Straßenbahnanschluss nach Hannover und mehrere S-Bahn-Haltestellen etc. Aber ich vermisse eine bestimmte Atmosphäre, die ich in den ersten Jahren nach meinem Weggang noch empfunden habe. Und ich habe im Gegensatz zu Seppo nicht das Gefühl, dass mein Schritt damals ein Fehler war. Ich werde sicher nicht zurückkommen.

Wie ist das bei Euch? Fehlt Euch Eure alte Heimat und würdet Ihr gern zurückgehen, wenn es sich machen ließe? Oder habt Ihr eine ähnliche Erfahrung gemacht wie ich? 

Kommentare

  1. So unterschiedlich kann es also laufen!

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  2. Erstmal, ich mag den Blog von Seppo total gerne und lese ebenfalls regelmäßig seine Beiträge, diesen kannte ich noch nicht, also danke für den Tipp!

    Es ist spannend, wie unterschiedlich die Menschen ihrem Heimatort gegenüber empfinden, aber ich weiß dass ein Heimatgefühl nicht immer mit dem Geburtsort übereinstimmen muss.

    Ich selbst bin in Mödling geboren, aber in einem kleinen Dorf aufgewachsen . Nach Mödling zurückzukehren bereitet mir immer wieder große Freude den Ort wo ich groß wurde vermisse ich aber überhaupt nicht.

    Dennoch habe ich Graz als die Stadt für mich entdeckt die Heimat für mich bedeutet wo ich meine Wurzeln schlagen möchte :) So sind wir Menschen also verschieden ;) Manche brauchen eben ein bisschen, bis sie ihr wahres Zuhause gefunden haben!

    Liebe Grüße, Kay
    www.twistheadcats.com

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    1. Ich fühle mich dort, wo ich jetzt wohne, auch wohl. Aber mit den Veränderungen in meinem (eigentlichen) Heimatort kann ich wenig anfangen. Das geht nicht nur mir und meiner Freundin so, sondern mehreren Leuten, mit denen ich damals zur Schule gegangen bin. Aber da sie und ich unseren Ort gefunden haben, ist das ja auch kein Problem. Nur eben etwas schade.
      Liebe Grüße
      Ina

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  3. Mein Geburtsort ist Essen; da bin ich aufgewachsen, habe mich dort aber nie wirklich zu Hause gefühlt. Es war immer mein Traum, in Norddeutschland zu leben. Nach Abschluss des Studiums, bin ich von Essen weggezogen. Seit 1986 lebe ich in Hamburg. Hier fühle ich mich zu Hause; Hamburg und Schleswig-Holstein betrachte ich als meine Heimat.

    Dennoch empfinde ich auch Essen immer noch als meine Heimat. Vor allem, seit ich vor wenigen Jahren noch einmal dort war und der Mann, der mein Elternhaus gekauft hat, mir die Stadt gezeigt hat, wie sie heute ist.

    Ich habe Essen noch zu Zeiten kennengelernt, als man dort - wie es so schön heißt - Kohlenstaub hustete. Auch wenn ich in einer Vorstadtidylle aufgewachsen bin, habe ich die Stadt nicht als schön und lebenswert empfunden.

    Diese Meinung hat sich nach meinem letzten Besuch geändert. Die Stadt hat sich gewandelt. Sie ist sehr grün geworden. Man hat viel getan, um die Lebensqualität zu verbessern. Nur die Innenstadt, durch die ich früher gern geschlendert bin, finde ich nach den baulichen Veränderungen furchtbar hässlich.

    So bin ich heute zweigeteilt. Ich habe eine alte Heimat, die heißt Essen. Und eine neue, die heißt Norddeutschland. An die Stadt Essen, wie ich sie zuletzt erlebt habe, denke ich gern zurück, und ich freue mich darauf, der Stadt irgendwann wieder einmal einen Besuch abzustatten.

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    1. Das ist ja in Bezug auf den Geburtsort das komplette Gegenteil zu meiner Sicht darauf. Wenn ich heute in meine Heimatstadt fahre, dann nur, um dort irgendetwas zu erledigen; in sehr, sehr seltenen Fällen, um jemanden zu treffen. In Essen war ich übrigens noch nie.

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