Stimmen in Deinem Kopf...

Wenn ich an einem Tag zum ersten Mal den Browser öffne,
werden mir unten Vorschaufenster zu Artikeln angezeigt, die mich interessieren könnten. Mal liegt der Algorithmus richtig, manchmal auch voll daneben. Heute Morgen sah ich auf einer dieser Kacheln ein Bild eines männlichen Androidenschädels. Die eine Hälfte war menschlich, die andere zeigte die Technik im Inneren. Was steckte dahinter?
Das Bild gehörte zu einem Artikel einer Berliner Tageszeitung, der sich mit der neuesten Innovation auf dem Gebiet der Kommunikation beschäftigte: Eine US-Firma hat  ein technisches Prinzip entwickelt, mit dem man die Stimme eines Anrufers in seinem Kopf hört und selbst zum Sprechen kaum noch die Lippen bewegen muss. Stimmen im Kopf - was bislang als Anzeichen einer ausgewachsenen psychischen Störung gilt, soll in Zukunft Normalität sein.

Bei der Vorstellung, dass ich als Angerufene den Eindruck habe, der Anrufer spricht aus meinem Gehirn heraus, lief es mir kalt den Rücken herunter. Die Erfindung funktioniert übrigens so: Ein wasserdichter Mini-Lautsprecher wird dauerhaft an einem Backenzahn befestigt, ein wasserdichtes Mikrofon befindet sich im Mund. Der Klang geht wellenförmig über die Kieferknochen in das Innere des Ohrs. Daher auch das Empfinden, dass die Telefongeräusche aus dem Kopf kommen.
Der Vorteil: Da die Ohren frei sind, bekommt man auch während eines Telefonats die Umgebungsgeräusche mit. Unser Gehirn läuft während eines Gesprächs allerdings auf Hochtouren, um die Geräusche aus der Umgebung von denen aus dem Kopf auseinanderzuhalten.

Ich behaupte von mir, nicht technikfeindlich zu sein. Mich interessiert, wie Dinge funktionieren und ich überlege auch die eine oder andere Anschaffung, wenn sie mir sinnvoll erscheint. Ich gebe aber zu, dass ich auf manches, was andere schon als technische Normalität ansehen, befremdet schaue: Die ersten Male, die ich Menschen gesehen habe, die scheinbar ins Nichts sprachen, habe ich ihnen eine veritable Klatsche zugesprochen. Natürlich habe ich dann gesehen, dass sie telefonieren, aber ehrlich: Es wirkt auf mich nach wie vor bekloppt, wenn Leute murmelnd und mit geistesabwesendem Blick durch Menschenmengen gehen. Auch Leute, die ihr Smartphone wie ein Tablett vor den Mund halten, finde ich seltsam. Die angewinkelte Armhaltung ist das Gegenteil von bequem, und meine erste Assoziation ist, dass das Gerät in dieser Position wie eine verlängerte Zunge wirkt. Bin ich rückständig? Wenn ja: Ich kann damit leben.

Nun also die Stimmen im Kopf. Wozu führt das? Ich
bezweifle, dass geistige Höchstleistung als Dauerzustand gesund sein kann. Schon jetzt beklagen Wissenschaftler die negativen Folgen des Multitaskings, das im Übermaß nichts anderes als eine Überlastung nach sich zieht, die psychische und physische Folgen hat. Und künftig fallen dann auch die Ausreden weg, wenn man einen Anruf nicht entgegengenommen hat: "Sorry, ich konnte nicht rangehen. Ich war im Kino". Thema erledigt, da müssen schon viel bessere Ausflüchte her. Man hat die Technik dann ja auch auf dem Klo bei sich, im Schwimmbad, in der Sauna... Na, schönen Dank.
Die Erfindung wurde für den militärischen Bereich entwickelt, aber der Sprung auf den zivilen Markt ist geplant. Das hat ja auch schon bei vielen anderen Produkten geklappt.

Wie ist das bei Euch? Seid Ihr so technikbegeistert, dass Ihr jeden Trend mitmacht oder zieht Ihr für Euch bei einem bestimmten Punkt eine Grenze?

Kommentare

  1. Meine Grenzen sind sehr eng gesteckt, und sie werden immer enger. Ich bin bereits hochgradig genervt, wenn eine weltweit genutzte Standard-Textverarbeitung meint, für mich denken zu müssen. Aus dem Irrglauben heraus, zu wissen, was ich will, und in dem von meiner Seite gänzlich unerwünschten Versuch, mir meine Arbeit komfortabel zu gestalten, markiert es gleich einen ganzen Satz oder Absatz, wo ich nur ein Wort markiert haben möchte. Oder es wandelt die Abkürzung DNA blitzschnell in DANN um. Inzwischen arbeite ich mit einem anderen Programm, das das Denken und Gestalten mir überlässt.

    Ich möchte auch keinen Kühlschrank haben, der automatisch für mich einkauft. Ich möchte keinen Staubsauger, der von allein durch meine Wohnung schnaubt. Ich möchte mir keinen Chip unter die Haut am Arm einpflanzen lassen, der das Garagentor öffnet und es mir damit erspart, auf die Fernbedienung zu drücken. Ich gehe vermehrt dazu über, im Kopf zu rechnen, statt den Taschenrechner zu benutzen. Und nein, die Technik, die Du oben beschreibst, kommt mir nicht ins Hirn.

    Manchmal bin ich froh, heute zu leben und nicht in hundert oder zweihundert Jahren. Denn ich befürchte, dass die Menschen dann gleich nach der Geburt irgendwelche Chips ins Hirn oder sonst wohin gepflanzt bekommen, ohne selbst entscheiden zu können, ob sie noch Mensch sein wollen oder nur noch Technikbehausung und ob sie selbst entscheiden oder technikgesteuert sein möchten.

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    1. Das Wort "Technikbehausung" gefällt mir gut. Gegen Saugroboter habe ich grundsätzlich nichts, weil sie nur herumkurven, wenn man sie startet und damit aufhören, wenn sie gestoppt werden. Meines Wissens sammeln sie auch keine Daten, die dann sonstwohin transferiert werden. Wenn sie nicht so übertrieben teuer wären, wäre ihr Kauf eine Überlegung wert. Sehr skeptisch bin ich bei Alexa & Co., die ich als spionierende Laus im Pelz empfinde. Auch datensammelnde Tracker-Armbänder finde ich seltsam; die Krankenkassen sind hell begeistert, dass es Menschen gibt, die ihre Gesundheitsdaten bereitwillig hergeben. Würden das dieselben Menschen ebenso bereitwillig tun, wenn sie irgendwann gesundheitlich angeschlagen sind?
      Diese Art zu telefonieren habe ich im ersten Impuls als gruselig empfunden und tue es immer noch, nachdem mir das noch mal durch den Kopf gegangen ist.

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  2. Okay, über den Staubsauger lass ich mit mir reden. Aber Alexa bleibt draußen, und dieses merkwürdige Telefonieren ist eher was für Außerirdische als für mich.

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