Mir geht's so schlecht - aber wieso?

Wer jetzt sensationslüstern auf diesen Text geklickt hat, den muss ich enttäuschen: Mir geht es nicht schlecht. Zwar auch nicht super, toll, großartig oder Ähnliches, aber weit entfernt von schlecht. Von außen betrachtet könnten manche Beobachter aber durchaus auf die Idee kommen: Durch einen Mangel an körperlicher Fitness (ich nenne das jetzt einfach mal so) bin ich in meinem Alltag eingeschränkt. Dieses Defizit hat dafür gesorgt, dass ich mich beruflich nicht so entwickeln konnte, wie ich es mir gewünscht hätte. Es sorgt auch dafür, dass man sich manchmal über eigentlich Banales, aber auch über Situationen, die nicht zum täglichen Einerlei gehören (Stichwort: Urlaubsreisen; das hatte ich hier schon mal geschrieben) den Kopf zerbrechen muss. Wenn ich mich zurücklehne und noch mal in mich gehe, fällt mir bestimmt noch eine Menge ein, das ich schlecht finden könnte. Ich müsste mich dafür gar nicht übermäßig anstrengen. Aber ehrlich: Was soll der Quatsch? Ich habe eine tolle Familie und Freunde, die mich unterstützen, wenn das nötig ist. Durch familiären Einsatz ist mein Zuhause so gut wie barrierefrei. Ich finde, das ist eine ganze Menge, für das ich dankbar sein kann und bin. Irgendwann wird es hinsichtlich meiner Mobilität schwieriger werden, aber auch das ist zu bewältigen. Warum? Na, siehe oben!


Es geht mir nicht darum, etwas zu verharmlosen oder  kleinzureden, aber oft denke ich: Warum fällt es manchen Menschen so schwer, das Positive in ihrem Leben wahrzunehmen? Ein Beispiel? Okay. Wer schon ein paar Texte dieses Blogs oder auch der anderen Seiten, auf denen ich regelmäßig etwas von mir gebe, gelesen hat, weiß, dass ich in dem einen oder anderen sozialen Netzwerk unterwegs bin. Wie viele andere Nutzer bin ich Mitglied in Gruppen, in denen ich mir Austausch und Informationen über die Themen erhoffe, die mir wichtig sind. Und da sind gerade dort, wo es um Krankheiten geht, drei Lager vertreten: Im einen wird sachlich nach Tipps gefragt (Wer kennt in XY einen guten Arzt? Wie komme ich an Hilfsmittel? etc.). Da werden dann viele gute Antworten gegeben, die den Betroffenen weiterhelfen. Alles gut, dazu sind solche Gruppen da. Die Menschen im zweiten Lager haben Angst, zum Beispiel vor einer OP, und brauchen Zuspruch. Angst, dass der Eingriff nicht gelingen könnte oder man nicht mehr aufwacht. Beides ist völlig menschlich und sehr gut nachvollziehbar. Auch da sind Zuspruch und Beruhigung angesagt.
Wir kommen zu den Menschen der dritten Sorte. Hier ist das Schlimmste bereits überstanden, der Eingriff ist super verlaufen, die Rekonvaleszenz klappt problemlos. Aber es wird gejammert: Schmerz hier, Schwierigkeit da, alles geht (noch) so langsam. Ach, ach, ach... Ich habe dabei eine OP im Hinterkopf, die in Deutschland zum Standard geworden ist und über die ich mir aufgrund eigener Erfahrungen ein Urteil erlauben kann. Ich meine ausdrücklich nicht hochkomplizierte Eingriffe wie die Behebung eines Herzklappenfehlers oder die Entfernung eines Hirntumors. Vor beiden und einigen anderen habe ich höchsten Respekt. 

Es drängt sich mir der Eindruck auf, dass es hier und da ganz deutlich an Dankbarkeit fehlt: Dankbarkeit dafür, dass wir hier die große Chance haben, adäquat medizinisch behandelt zu werden, sodass danach im Regelfall wieder ein normales Leben möglich ist. Ich kenne auch in meiner Umgebung Menschen, die sich ständig leid tun und ihr Schicksal betrauern. Für die ist das Glas noch weniger als halb leer. In den meisten Ländern dieser Erde wäre ein normales Leben, wie man es bisher gewohnt war, vorbei, wenn die Gelenke wegen einer Arthrose oder weswegen auch immer schlappmachen würden. Keine Arbeit mehr, kein Geld mehr, sicherer sozialer Absturz, wenn man niemanden hat, der ein paar Scheine rüber schiebt.

Aber ich fühle, dass die ersten "Ja-abers" auf dem Weg ins Kommentarfeld sind. Pflegenotstand! Überlastung des medizinischen Personals! Stimmt alles. Auf diesem Gebiet ist einiges durch falsche politische Entscheidungen in eine Schieflage gesteuert worden. Trotzdem gilt: Uns wird geholfen, und ich finde es wünschenswert, wenn das mal öfter wahrgenommen werden würde. Wer hier ein "Ersatzteil" bekommt, wird danach im Regelfall in eine Reha-Klinik geschickt - was in dieser Form weltweit einzigartig ist. Und auch dort: Jammerlappen an jeder Ecke. Natürlich nicht alle, aber viel zu viele, die den Mitpatienten dann mit ihrem Gequengel die Stimmung versauen.

Es geht mir nicht darum, zu beschönigen, was schlecht läuft, aber die eigene Situation realistisch einzuschätzen und mal ins richtige Verhältnis zu setzen würde dazu beitragen, Ressourcen zu schonen, die beim Jammern vergeudet werden - psychische und physische. Mitleid war schon immer ein schlechter Ratgeber.

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