Fliegen - das letzte große Abenteuer?


Fliegen ist heute etwas fast Alltägliches geworden, auch von einem Inlandsziel zum nächsten. Angesichts heillos verstopfter Straßen und unpünktlicher Züge ist das auch kein Wunder. Aber was vor vielleicht 20 Jahren für viele kaum erschwinglich war, ist preislich gesehen massentauglich geworden. Man kommt zum Beispiel von Hannover nach Dubai hin und zurück für unter 400 Euro. Okay, nicht auf Emirates- oder Lufthansa-Niveau, aber immerhin. Wenn einem klar ist, dass beim günstigen Fliegen nicht der Weg das Ziel ist, sondern es nur um das Erreichen des Ziels geht, ist alles in Ordnung.
Wie komme ich nun aufs Fliegen? Ich habe seit vielen Jahren eine deutsche Wochenzeitung abonniert, für die der Berliner Kolumnist Harald M. in jeder Ausgabe einen Text schreibt. Er greift dort Themen auf, die ihm quasi so über den Weg laufen. Irgendwann Anfang des Jahres ist er in Berlin in ein Flugzeug eines irischen Billiganbieters gestiegen und hat den Lesern seine Erlebnisse zum Besten gegeben. Er berichtet über Dinge, die man über diesen Anbieter immer mal wieder gehört hat: Kabinenpersonal mit einem unterkühlten Charme, das Gerangel um die besten Sitzplätze (Reservierungen kosten dort einen Aufpreis), eine bemitleidenswerte Ausstattung der Kabine etc. 

Schlimmer geht immer...

Als ich Harald Ms. Text las, erinnerte ich mich an einen Flug mit einer türkischen Airline. Wir waren mit unseren Kindern auf dem Weg in den Urlaub. Es ist schon einige Jahre her, die Kinder waren etwa im Grundschulalter. Es sollte für zwei Wochen in die Nähe von Antalya gehen, in ein Hotel direkt am Strand. Wir flogen mit einem Großraumflugzeug: Pro Reihe gab es neun Sitze, unterteilt durch zwei Gänge. Unsere Plätze waren in zwei aufeinanderfolgenden Reihen in der Mitte. Wir hatten kaum Platz genommen, als ein Passagier ganz links einen spitzen Schrei ausstieß: Er war mit seinem Sitz bis auf den Kabinenboden eingebrochen und rappelte sich mithilfe seiner Frau mühsam wieder hoch. Der Schreck stand ihm ins Gesicht geschrieben. Die Stewardess, die kein Wort Deutsch und nur lückenhaft Englisch sprach, bot ihm mit hektischem Blick einen Berg Kissen an, mit dem er sich wieder auf "Normalnull" gebracht hat. Der Herr war übrigens nicht übergewichtig. 
Er saß kaum, als ebenfalls aus unserer Reihe, jetzt von rechts, ein weiterer Schrei kam. Diesmal von einer Frau, deren Sitz ebenfalls unter ihr nachgegeben hatte. Deutlich temperamentvoller als der Herr richtete sie sich schnell auf und ließ eine Worttirade auf den herbeigeeilten Steward los. Die Kissen lehnte sie aus Sicherheitsgründen ab. Der Steward verstand sie auch ohne Sprachkenntnisse, holte Werkzeug und schraubte an dem defekten Sitz so lange herum, dass er für die Dauer des Fluges stabil blieb.
Als fast alle Passagiere saßen, wollte eine Reisende vor uns noch schnell etwas im Gepäckfach über dem Sitz verstauen. Beim Öffnen fiel ihr die Klappe entgegen und sie beinahe vor Schreck einem Passagier auf den Schoß. Der bordeigene Werkzeugkasten, dessen Existenzberechtigung ja schon bewiesen worden war, musste ein zweites Mal hervorgekramt werden. Da fiel dann kaum noch ins Gewicht, dass alle Bordansagen zunächst auf Türkisch und dann in einem kaum verständlichen Englisch gemacht wurden. Aber wir kamen an.

Vor dem Rückflug mit derselben Linie waren wir verhalten
optimistisch. So viel Pech kann man doch nicht nochmal haben, oder? Immerhin: Dieses Mal hielten die Sitze und die Gepäckfächer funktionierten einwandfrei. Nach etwa dreieinhalb Stunden befanden wir uns im Landeanflug auf den Flughafen Hannover/Langenhagen. Bestes Wetter, der Flughafen gehört nicht zu den fliegerischen Herausforderungen eines Berufspiloten. Das Flugzeug sank, die Felder, Häuser und Straßen kamen näher, die Landebahn war gut zu erkennen. In dem Moment, als wir dachten, das Flugzeug müsste aufsetzen, startete der Pilot durch und zog die Maschine wieder hoch. Die Triebwerke heulten, mein Mann und ich warfen uns einen ratlosen Blick zu. Na ja, kann ja mal sein, dass da etwas nicht wie geplant läuft. Wir flogen eine Schleife über Langenhagen, das Flugzeug sank und kurz vor dem Aufsetzen ... genau! Im letzten Moment wurde die Landung abgebrochen, die Nase zeigte wieder nach oben. Die Kinder bekamen Angst, wir mindestens ein mulmiges Gefühl. Meine Tochter fragte leise: "Stürzen wir jetzt ab?" - "Nein, nein", versuchten wir sie zu beruhigen, "das wird manchmal so gemacht, zum Üben." Über die Köpfe der Kinder hinweg sahen wir uns kurz an. Mein Mann, der mal einige Jahre in einem Tower gearbeitet hatte, zuckte die Schultern und schüttelte kurz den Kopf. 
Neuer Startversuch, neues Glück. Die zweite Schleife über Langenhagen war - wieder mal - geschafft, die Maschine näherte sich dem Boden. Jeder von uns hielt die Hand eines unserer Kinder, atmete tief durch ... und dann, tatsächlich, war es geschafft. Wir waren unten. So ganz richtig unten, nicht bloß kurz davor. Die Erleichterung von mehreren Hundert Passagieren war mit Händen zu greifen.
Flugangst hat von diesem Erlebnis niemand von uns bekommen, aber ich habe bei den nächsten Flügen zumindest einmal durchgeatmet, bevor es losging. Und war froh, wenn wir wieder unten waren.
Die Fluglinie gibt es immer noch, ich habe das gerade nachgesehen. Aber wir werden um sie den größtmöglichen Bogen machen.


















Kommentare

  1. Mein letzter Flug liegt rund 15 Jahre zurück. Damals bin ich mit dem "Kranich" zu einem Kunden nach Frankfurt geflogen und in übelste Turbulenzen geraten - wozu der "Kranich" natürlich nichts konnte. Da ich sonst nur Kunden in Hamburg und Schleswig-Holstein hatte und meinen Urlaub vorzugsweise in Nordfriesland verbringe, bleiben mir solche Abenteuer erspart. - Jetzt erkenne ich, was ich verpasse. ;-)

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    1. Das war der schlimmste Flug unseres Lebens. Als ich nach dem Urlaub ins Büro kam, fragte mich mein Kollege, wie es war. Ich erzählte ihm die Geschichte, und er machte große Augen und sagte: "Ich glaube, Sie waren im selben Flugzeug wie ein Freund von mir. Er hat mir genau dasselbe erzählt!"

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  2. Ich glaube, nach solch einem Erlebnis wäre ich für alle Zeiten bedient gewesen. Zumindest, was diese Fluggesellschaft betrifft.

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  3. Hallo Ina,

    das klingt ja grausam, da kann ich verstehen, wenn man Flugangst bekommt und nie wieder einen Fuß in ein Flugzeug setzt.

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    1. Wir fliegen trotzdem und haben so etwas Übles auch nie mehr erlebt.

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