Die Kunst und ich - wir fremdeln seit Jahrzehnten

Kunst ist genau mein Ding. Von meinen Eltern wurde mir der bekannte Satz "Kunst kommt von Können" gewissermaßen in die Wiege gelegt. Frühkindliche Prägung. An allem, was sich zwischen der Kunst und mir bis heute abgespielt hat, bin ich also völlig unschuldig.

Ich handhabe das mit der Kunst wie mit dem Wein: Ich trinke gern Wein und unterscheide ihn professionell in "schmeckt" und "schmeckt nicht". Von diesem ganzen Gedöns wie "Hat ein zimtiges Bouquet und schmeckt im Abgang nach Brombeere" halte ich nichts.
So ähnlich ist es mit der Kunst. Ich stelle mich vor ein Gemälde oder eine Skulptur, lasse das Werk auf mich wirken und denke dann "schön" (auch schon mal "sehr schön") oder "gefällt mir nicht". Wenn ich mir vorher eine langatmige Erklärung darüber anhören oder anlesen muss, was mir der Künstler mit seinem Bild etc. sagen will, denke ich so für mich "Ja, Mensch, dann sprich doch einfach deutlich!". Wer mich jetzt in die Kategorie der Kunstbanausen einordnet, kommt der Wahrheit gefährlich nah.

Beweise, Beweise...

Wer bislang noch glaubt, dass ich übertreibe, wird seine Meinung in den nächsten zwei Minuten ändern.
In der Schule hatte ich einige Lehrer, die die Hoffnung, uns für die Kunst zu begeistern, nicht aufgaben. Mit einem von ihnen haben wir 1979 in Hannover eine Ausstellung besucht, die im Künstlerhaus stattfand. Das Künstlerhaus wurde Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut und befindet sich in der Innenstadt. Ein sehr schönes Gebäude, in dem das ganze Jahr über die verschiedensten Kunstveranstaltungen stattfinden und mehrere Einrichtungen ihren Sitz haben, die sich mit Kunst beschäftigen. Was man als ortsunkundiger Leser noch wissen sollte: Hannover liegt am Fluss Leine, der mal ober- und mal unterirdisch um und durch die Landeshauptstadt mäandert. Diese Ausstellung nun, die wir damals als Schüler der siebten Klasse besucht haben, hieß - Achtung, Wortspiel! - "Kinder an der Leine". Rückblickend kann ich mich nicht daran erinnern, dass unter den Exponaten eines gewesen ist, das mit Kindern zu tun hatte, aber das nur am Rande. Was ich noch weiß: Ich stand ratlos vor einem etwa 1,50 Meter hohen Bild, das durch je einen senkrechten und einen waagerechten breiten Strich in vier Felder aufgeteilt war. Der Künstler hatte jedes Feld mit einer Grundfarbe ausgefüllt. Als ich gerade dachte "Das ist so simpel, dass sogar ich das kann, also kann es keine Kunst sein", stellte sich einer der Herren neben mich, die die Aufsicht führten. "Na", fragte er freundlich lächelnd, "gefällt dir das?" Ich habe darauf achselzuckend irgendetwas wie "Was soll das denn darstellen? Ich sehe da nichts" gesagt und eine Sekunde später realisiert, dass ich schon mal cleverere Momente hatte. Ganz kurz zog ein Schatten der Missbilligung über das Gesicht des Mannes, dann schien er sich an so etwas wie einen Bildungsauftrag uns Kindern gegenüber zu erinnern - und begann mir in epischer Breite alles zu erzählen, was es über den Künstler und sein Werk zu wissen galt. Es war, als würde ein Güterzug aus Wörtern in mein eines Ohr hineinfahren, kurz (!) mein Gehirn passieren und dann meinen Kopf rasch wieder verlassen. Ich kann mich an rein gar nichts mehr erinnern, was mir der kunstbeflissene Mann damals erzählt hat. Aber ich nahm mir vor, in so einer Umgebung künftig stärker auf meine Wortwahl zu achten.

Das war bei einem anderen Vorkommnis, mit dem ich mich
Hess. Landesmuseum, Darmstadt
nun endgültig in die Banausenecke manövriert habe, nicht nötig. Es muss Anfang der 1990-er Jahre gewesen sein, als ich zum ersten Mal im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt war. Dort befindet sich der sogenannte Beuys-Block, ein Werkkomplex des 1986 verstorbenen Künstlers Joseph Beuys, der sich über mehrere Räume erstreckt. Dort gibt es z. B.  graue, zusammengerollte Filzmatten zu sehen, die mit einem Gürtel auf einen Schlitten gebunden sind, oder aber - ein Highlight für eine ordnungsliebende Hausfrau wie mich - einen Schrank, dessen zahlreiche kleine Schubladen mit Fett gefüllt sind. In einem der größeren Räume war der Boden mit einer Auslegeware aus Filz belegt, und auf ihm lag quer durch den Raum eine Kupferleiste. Wie man dem einen oder anderen Text dieses Blogs entnehmen kann, ist es um meine körperliche Fitness nicht so gut bestellt. Das war schon damals so. Nun, ich hatte ja schon ein paar Ausstellungsstücke gesehen, und jetzt war ich reif für ein kleines Päuschen und auf der Suche nach einem Stuhl. Blöd nur, dass die paar Stühle, die da waren, selbst Kunstwerke gewesen sind. Vorzugsweise mit Fett oder Filzmatten belegt. Aber meine Rettung war nah! Die kleine Schwester von 'sitzen' ist 'sich anlehnen', und da war, mitten im Raum, direkt auf der kupfernen Leiste, das Objekt, das mir mit seiner ruhigen Ausstrahlung einen Moment der Entspannung versprach: ein ich glaube quadratischer Berg (oder Block) aus Filzmatten, der oben mit einer Kupferplatte abgedeckt war. Sah stabil aus und würde meinen Rücken bestimmt für einen Augenblick ertragen können. Ich gönnte mir also eine Pause am Block und sah mich um. Und es sahen einige Augenpaare zurück. Ungläubig, missfallend, auch empört war dabei. Mit schnellen Schritten näherte sich da ein Museumswärter, er war deutlich ärgerlicher als einfach nur ärgerlich. "Sie! Was machen Sie da?" Ich ahnte, dass hier gerade etwas gehörig schief lief. "Gehen Sie da weg! Das ist Kunst!" Er meinte tatsächlich den Mattenberg, von dem ich glaubte, er sei nur mal eben da abgestellt worden und würde noch für etwas anderes gebraucht werden. Ich murmelte eine Entschuldigung und brachte möglichst viel Abstand zwischen mich und den Filzblock. Die Kunst und ich, wir verstehen uns einfach nicht. Es ist, als würden wir aneinander vorbeireden. Aber vielleicht wendet sich das Blatt ja noch. Wer weiß?


Habt Ihr einen guten Draht zur Kunst? Oder seid Ihr selbst künstlerisch tätig? Unter dem Text Gib einen Kommentar ein ist noch ein bisschen Platz. Nur zu 😃
 

Kommentare

  1. Mit Kunstwerken geht es mir sehr ähnlich wie Dir. Und wie mit dem Wein. Schmeckt oder schmeckt nicht; Erläuterungen brauche ich dazu nicht. Sprich: Ja, ich gehöre fraglos in die Kategorie "Kunstbanause".

    Mit Grausen erinnere ich mich noch an unseren Kunstunterricht in der Schule. Einmal sollten wir ein Blatt eines riesigen Zeichenblocks mit Bleistift in winzige Quadrate aufteilen und jedes Quadrat mit einem anderen Rotton aus dem Aquarellfarbkasten ausfüllen. Ein anderes Mal sollten wir eine Maschine aus Papier basteln. Das Schuljahr habe ich mit einer 6 in Kunst abgeschlossen. Auch in den anderen Jahren habe ich nicht zu denen gehört, deren "Exponate" Wonneschauer bei der Kunstlehrerein erzeugten.

    Ob ich selbst künstlerisch tätig bin? Ich bin Romanautorin, möchte mich aber nicht zu den Künstlern zählen, auch wenn ich in der Künstlersozialkasse versichert bin, seit ich hauptberuflich als Autorin arbeite. Ich finde den Begriff der "Texthandwerkerin" für mich am schönsten.




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    1. Den Kunstunterricht habe ich auch leidend hinter mich gebracht.
      Texthandwerkerin klingt gut. Nach etwas Handfesten.

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  2. Ach, Ina - das ist zu schön! :) *woistderverdammtelachrollsmiley*
    Mein Verhältnis zur bildenden Kunst ist ähnlich gespalten, zumal ich inzwischen eher in die darstellende Kunst abgedriftet bin. Als Kind jedoch habe ich gezeichnet, sehr gut sogar und sehr gern. Leider wurde jegliche Förderung unterlassen und so verlor ich das Interesse daran, auch wenn das Talent latent erhalten blieb und ich später sogar etwas in der Richtung lernte (naja, so halb - Zähne modellieren ist auch eine Kunst). An Museumsbesuche kann ich mich kaum errinnern. Aber das einschneidendstes Erlebnis mich selbst betreffend überrollte mich in der ersten Klasse einer Dorfschule in Form der ungläubigen Kunstlehrerin bezüglich einer Hausaufgabe. Ich hatte ein Huhn gezeichnet, sehr naturnah und jede einzelne Feder war fein ziseliert - es steckte eine Menge Herzblut in dem Bild und ich war verdammt stolz. Ihr Kommentar: "Das hast Du niemals selbst gezeichnet. Wer hat dir da geholfen?" Meine tränenreiche Beteuerung, dass ich es ganz allein war, wurde mir nicht geglaubt und ich wurde wiederholt der Lüge bezichtigt. Im Ergebnis bekam diese Lehrerin nie wieder ein Bild von mir, weil ich mich entweder ihrem Unterricht verweigerte oder Mal-Hausaufgaben einfach selbst behielt. In der zweiten Klasse bekamen wir eine andere Lehrerein, aber mein Spaß am Zeichnen war für lange Zeit verflogen. Erst als ich meine ersten Geschichten schrieb (in der vierten Klasse) habe ich ein wenig illustriert. Tja, und dann kam sowieso alles anders. Wer weiß, wenn diese Lehrerin in meiner Kindheit nicht gewesen wäre, vielleicht würdest Du jetzt in irgend einem Museum vor einem bunten Klecks von mir stehen und fragen: "Das soll Kunst sein?" ;)

    Liebe Grüße, Claudia

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    1. Ohne Witz: Ich habe auch Erinnerungen an Grundschullehrerinnen und -lehrer, von denen ich bahaupte, dass sie für mein Leben prägend waren: Der Musiklehrer sorgte für ein entspanntes Verhältnis zu diesem Fach, das in der vierten Klasse in Klavierunterricht mündete; meine Klassenlehrerin war ein Vorbild an Umsicht, Geduld und Toleranz; meine erste Mathe-Lehrerin war ein warnendes Beispiel dafür, was Ungerechtigkeiten und persönliche Animositäten anrichten können. Meine Abneigung gegen dieses Fach (sooo schlecht war ich da gar nicht) haben dazu geführt, dass ich den Gedanken an ein zweites Studium in einem technischen Fach verworfen habe. LG, Ina

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  3. Kunstbanause. Wortkünstler ja. Mehr nicht. Ich stand auch immer ratlos vor solchen Bildern. Eins mit 4 Farbklecksen, die ich auch hätte machen können - aha, Jahreszeiten. Gut, dass es dran stand. Nee, ich bin auch malerisch eher minderbemittelt und konnte meine Note im Fach Kunst nur durch Lernen von Baustilen, Epochen und ähnlich "wichtigen" Dingen ;-) nach oben bringen und dort halten.

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    1. Schön, dass ich mit meinem blinden Fleck nicht allein bin :D Der Kunstunterricht in der Schule war auch bei mir verlorene Liebesmüh'. Aber es gab immer wenigstens einen Menschen, der erkennen konnte, was ich da gerade aufs Papier gebracht hatte: mich! ;-)

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  4. Ich denke, Kunst ist wie Sprache. Man muss sich mit ihr auseindersetzen, um sie zu verstehen. Man muss etwas über die Zeit wissen, in der sie entstanden ist, und vielleicht auch etwas über den Künstler. Mit der Sprache setzen wir uns ganz automatisch lange Zeit intensiv auseinander. Deshalb können wir Romane lesen und verstehen und Symbole in der Sprache deuten. Die surrealistisch und manchmal ziemlich absurd anmutende Kunst von Margritte hat zum Beispiel direkten Bezug zu seiner philosophischen Auseindandersetzung mit Wirklichkeit und Sprache, die diese Wirklichkeit festhalten will. Wenn man diesen Hintergrund nicht kennt, versteht man die Kunstwerke nicht. Die Abstraktion in der Kunst ist zum Beispiel auch dadurch entstanden, dass die Künstler das Wesentliche, Innere einer Sache durch stetige Reduktion darstellen wollten. Ich verstehe auch viele Kunstarten nicht, weil ich ihre Sprache (noch) nicht gelernt habe. Aber ihrem Sinn nachzuspüren empfinde ich als spannend und sehr bereichernd.

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    1. Ich verstehe Deine Sichtweise und habe auch die Ahnung, dass mir da möglicherweise etwas entgeht. Allerdings glaube ich auch, dass nicht alles für alle zugänglich ist. Sobald mir Kunst zu abstrakt wird und ich nicht mehr erkennen kann, was ein Bild oder eine Skulptur darstellen soll, regt sich in mir ein Widerstand. Meine Schwerpunkte sind die Literatur und die Musik, mit beiden kann ich deutlich mehr anfangen. Bilder, die so aussehen, wie das, das ich beschrieben habe, machen mich auch heute noch ratlos.

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