Der Glaube - eine manchmal seltsame Angelegenheit

Kennt Ihr das, dass Eure Gedanken bei einem Thema beginnen und bei einem völlig anderen enden? Mir passiert das ziemlich oft. Dieses Mal in eine Richtung, die auch für mich ungewöhnlich ist.


© Lorenz Rings/www.pixelio.de
Vertreter der Zeugen Jehovas haben sicher bei fast jedem von Euch schon mal vor der Tür gestanden, oder? Ich habe Erinnerungen an sie, die noch aus meiner Kinderzeit stammen. Schon damals tauchten sie immer zu zweit auf, entweder zwei Frauen oder zwei Männer, niemals als "gemischte Gruppe", aber immer in der Jung-Alt-Kombination. Die "Erwachet" und der "Wachtturm" waren obligatorische Missionierungswerkzeuge. Was mir schon im Kindergartenalter auffiel: Sie wirkten in den 1970-er Jahren wie aus der Zeit gefallen und hoffnungslos unmodern. Sie trugen nur Kleidung in gedeckten Farben. Ein "Zeuge" war auf 100 Meter so sicher zu erkennen wie ein Feuerwehrmann oder ein Polizist. Damals galt die Devise, dass Männer wie Männer und Frauen wie Frauen gekleidet sein müssen - im streng konservativen Sinn. Anderenfalls drohe ein Abgleiten in die Homosexualität. Kein Witz.

Wie komme ich denn nun ausgerechnet auf die Zeugen Jehovas? Ich, die ich zwar die Religiosität anderer respektiere (mit der Ausnahme von Sekten wie den ZJ), aber selbst damit nichts am Hut habe. Ich bin beim Querlesen von unterschiedlichen Zeitungsartikeln nach langer Zeit der Abstinenz von ihnen auf sie gestoßen, und zwar in einem Artikel, in dem es um die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ging. Dieses EU-Regelwerk, was vielen Leuten, die irgendwie mit Datenspeicherung und -verarbeitung zu tun haben, schlaflose Nächte beschert hat. Den Zeugen jetzt ganz sicher auch.

Auch Missionierungsadressen sind Daten

In Finnland nahm das Ganze seinen Anfang. Genau wie hier notierten die Mitglieder dort an den Haustüren persönliche Daten und Gesprächsprotokolle, der finnische Datenschutzbeauftragte monierte das. Der Europäische Gerichtshof urteilte, dass diese handschriftlichen Notizen unter die DSGVO fallen und sich auch die Sekte an den Datenschutz halten muss. Genau wie der Arzt oder das Versandhaus.

Nach dem Lesen dieser Meldung pendelte meine Erinnerung etwa 30 Jahre zurück in die Vergangenheit. Ich war Anfang 20 und in die erste eigene Wohnung gezogen. Wie üblich unangemeldet standen zwei männliche Zeugen vor meiner Wohnungstür - in der gewohnten Aufstellung: ein jüngerer und ein älterer Mann. Sie lächelten mich strahlend an und fragten, ob denn mein Mann zu Hause sei. Damals gab es keinen Mann, der zu Hause hätte sein können, sie mussten mit mir Vorlieb nehmen. Der sinngemäß weitere Gesprächsverlauf: 
- Wäre es nicht besser, wenn Sie verheiratet wären?  
- Wofür genau sollte das besser sein?
- Dann ist ein Mann an Ihrer Seite, der immer die besten Entscheidungen für Sie fällt!
- Trauen Sie mir nicht zu, selbst Entscheidungen zu fällen, die gut für mich sind?  (Ja, ich hätte das Gespräch längst abbrechen können. Aber ich wollte damals wissen, wie weit es die beiden Verkünder treiben würden.)
- Selbstverständlich können Sie für sich Entscheidungen treffen. Aber ein Ehemann meint es immer gut mit seiner Frau, sodass sie sich vertrauensvoll auf ihn verlassen und ihren eigentlichen Aufgaben nachgehen kann.
- Ich soll mein Denken einstellen, weil ich treuherzig davon ausgehe, dass ein Mann das kann? Weil er ein Mann - mein Mann - ist?
- Ja! Ein Mann ist das Oberhaupt der Familie! Sie können Ihr Leben in seine Hände legen.

An dieser Stelle war das Gespräch ruckzuck beendet. Ich war damals hin und her gerissen zwischen Belustigung und Entgeisterung. Die beiden Herren habe ich nie wieder gesehen. Wahrscheinlich haben sie mich als nicht ehetauglich eingeschätzt. Aus ihrer Sicht ist das ganz sicher so. Wie das wohl mein Mann sehen mag? 😉

Kommentare

  1. Dein Mann wird furchtbar unglücklich sein und leiden, weil seine Frau sich erlaubt, selbst zu denken und eigene Entscheidungen zu treffen. Das geht ja auch so-was-von-gar-nicht! ;-)

    Aber man muss nicht einmal an die Zeugen Jehovas geraten, um solche Meinungen vor die Füße geworfen zu bekommen. Ich bin in einer Vorstadtsiedlung in Essen aufgewachsen. Während der Schulzeit ging ich in Richtung Westen aus dem Haus, danach in Richtung Osten, um mit der S-Bahn nach Bochum zur Uni zu fahren.

    Im November anno 1977, ich war gerade im ersten Semester, spricht mich der Nachbar am östlichen Ende der Straße an:

    "Na, gehst du nun arbeiten?"
    "Nein, ich fahre nach Bochum zur Uni."
    "Ach, du nimmst also den Männern den Studienplatz weg."
    "Nein, ich nehme niemandem den Studienplatz weg. Mein Studienfach ist Numerus-clausus-frei."
    "Ja, aber später heiratest du und kriegst Kinder, und dafür brauchst du kein Studium."

    Die Logik dieser Aussage hat sich mir bis heute nicht erschlossen. Ich wollte auch nicht weiter danach fragen. Stattdessen habe ich nur gesagt:
    "Ich will aber gar nicht heiraten und Kinder kriegen."
    Darauf er: "Ja, das ist aber ja nicht der Sinn der Sache."

    Ich habe tatsächlich weder geheiratet noch Kinder bekommen. Aber selbst wenn - hätte mir ein Studium dabei geschadet? - Die ZJ würden jetzt bestimmt ganz laut rufen: "Jaaa!"

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    1. Mit Sicherheit! Mein Mann hat beim Lesen des Textes übrigens gelacht 😊

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