Übers Sprechen und Schreiben


Erst vor Kurzem bin ich über eine Formulierung in einem Gerichtsbeschluss gestolpert. Seine eigentliche Aussage bezog sich auf eine Tabelle, deren Spalten zwar beschriftet waren, aber manche von ihnen mit Abkürzungen, die im Dienstgebrauch üblich sind. Im allgemeinen Sprachgebrauch allerdings nicht. Erklärt wurden sie auch nirgends.

Ein wichtiger Satz in diesem Bescheid verwies auf eine der unverständlich beschrifteten Spalten. Dem Missverständnis wurde quasi der rote Teppich ausgerollt.

Wenig später hielt ich einen Steuerbescheid in den
Händen. Das Finanzamt wollte von seinem Steuerbürger Grunderwerbsteuer bekommen. Der wesentliche Inhalt bestand auch diesmal aus einer Tabelle, in der der von der Behörde ermittelte Betrag genannt wurde. Wie die Beamten zu dieser Zahl gekommen waren, wurde nicht erläutert. Es half nur der Griff zum Taschenrechner.

Bescheide, die so viel "Amtsdeutsch", Abkürzungen oder schwer nachvollziehbare Angaben enthalten, dass ich sie nicht auf Anhieb verstehe, empfinde ich als - gelinde gesagt - bürgerfern. Ich habe als Bürgerin einen Anspruch darauf, unkompliziert zu erfassen, warum ich angeschrieben werde und was eine Behörde aus welchen Gründen von mir erwartet.

Auf den Punkt zu kommen ist oft nicht einfach

Ich beschäftige mich praktisch täglich auf irgendeine Weise mit dem Schreiben. Dabei lege ich darauf Wert, verstanden zu werden. Klingt einfach, ist es aber nicht immer. Ich weiß, dass ich eine gewisse Neigung zu Schachtelsätzen habe. Deshalb durchforste ich jeden Text zum Schluss noch einmal und mache oft aus ursprünglich einem Satz zwei oder gar drei kurze neue. 

Auf der Seite des Philosophen und Theologen Michael Rasche habe ich den Satz gelesen: Klare Sprache erfordert klares Denken. Man kann diese fünf Worte gar nicht fett genug unterstreichen. Erst dann, wenn ich einen Sachverhalt komplett verstanden habe, kann ich ihn klar und damit verständlich wiedergeben. 

Gilt damit der Umkehrschluss, dass die Inhalte von verschwurbelten Reden oder Texten von ihren Sprechern oder Verfassern nicht vollständig erfasst wurden? Das kann sein. Es ist aber auch vorstellbar, dass die Inhalte zwar verstanden worden sind, man aber keinen großen Wert darauf legt, verstanden zu werden. 

Gesetzestexte: Viele sind ein sprachliches Gruselkabinett

Als Unverschämtheit empfinde ich es, wenn ich auf den Internetseiten von Ministerien oder Parlamenten nachvollziehen will, wie sich ein bestehendes Gesetz ändern soll. Nur selten treffe ich auf eine Synopse, also eine (tabellarische) Gegenüberstellung der alten und neuen Version. In der Regel werden Gesetzentwürfe in der Form veröffentlicht, wie es auch beim Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes bei Bildaufnahmen geschehen ist. Ohne die bisherige Norm auf den Knien zu haben, um nachblättern zu können, versteht man nicht, was so ein Entwurf beinhaltet. Steckt eine Absicht dahinter? Oder macht sich darüber ín den Ministerien einfach niemand Gedanken, weil das ja "schon immer" so gehandhabt wurde?

Aber manchmal wird die diffuse Ahnung, dass man sich beim Verfassen von Gesetzen und Verordnungen absichtlich nicht besonders viel Mühe gegeben hat, sogar bestätigt. Im Juni 2019 sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer über das Datenaustauschverbesserungsgesetz und dessen stillschweigende Einbringung: "Wahrscheinlich deshalb stillschweigend, weil es kompliziert ist, das erregt nicht so. Ich habe jetzt die Erfahrung gemacht in den letzten 15 Monaten, man muss Gesetze kompliziert machen, dann fällt es nicht so auf. Wir machen nichts Illegales, wir machen Notwendiges, aber auch Notwendiges wird ja oft unzulässig in Frage gestellt."

Die Empörung ging durch fast alle Parteien. Angeblich hat der Minister eine sehr spezielle Art von Humor. Auch an seinem Demokratieverständnis darf der Mann gern noch ein bisschen arbeiten.
Wer jetzt sagt: "Ja mei, hobt eich doch ned so. 's war doch ois grod a harmlosa Gaudi!", der verkennt, dass in jedem Witz ein wahrer Kern steckt.


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